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  • Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage

    Eu­ro­päi­sche Wirt­schafts- und Fi­nanz­po­li­tik

    Rückblick auf die Sitzungen der Eurogruppe und des informellen ECOFIN-Rats am 28. und 29. April 2023

    Eurogruppe im inklusiven Format

    Der Fokus der Eurogruppe im inklusiven Format lag auf einer Bestandsaufnahme zur Bankenunion und den Entwicklungen im Bankensektor. Beim ersten Unterpunkt zur makroökonomischen und finanziellen Entwicklung, einschließlich Präsentationen des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus und Einheitlichem Abwicklungsausschusses, nahm Irene Tinagli teil, die Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments.

    Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Europäische Kommission berichteten, dass die Wirtschaftslage unverändert sei. Mit Blick auf die Inflation informierte die Europäische Kommission darüber, dass die Energiepreise weiter gesunken seien, aber ein Anstieg der Löhne zu verzeichnen sei. Die EZB wies darauf hin, dass die Gesamtinflation den Höhepunkt überschritten habe, die Kerninflation aber weiterhin starr sei.

    Auch wurden mögliche Lehren aus den jüngsten Turbulenzen im Bankensektor in den USA und der Schweiz diskutiert: Die Eurogruppe war einvernehmlich der Auffassung, dass das Bankensystem in der Europäischen Union (EU) trotz der jüngsten Entwicklungen nach wie vor widerstandsfähig und stabil sei.

    Bundesfinanzminister Christian Lindner bekräftigte, dass er keine systemische Krise im Bankensektor sehe, die Risiken seien erfolgreich eingedämmt worden. Prioritär sei die Sicherung der Finanzstabilität und die Wettbewerbsfähigkeit der privaten Banken. Sorge bereite ihm die Regulierung des Nichtbankensektors; hier bestehe Handlungsbedarf der Aufsichtsbehörden. Vorbedingung für eine europäische Einlagensicherung sei weiterhin die angemessene Regulierung von Staatsanleihen in Bankenbilanzen.

    Eine Reihe von Mitgliedstaaten sprach überdies an, dass der Common Backstop, also die Letztsicherung des Einheitlichen Abwicklungsfonds, aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Ratifizierung des Europäischer-Stabilitätsmechanismus-Änderungsübereinkommens nicht einsatzfähig sei.

    Der zweite Unterpunkt betraf das Thema „Nachbereitung der Eurogruppen-Erklärung zur Zukunft der Bankenunion“. Die relevante Einigung der Eurogruppe vom 16. Juni 2022 sieht vor, in einem ersten Schritt das gemeinsame Regelwerk zum Umgang mit Banken in der Krise weiter zu stärken.

    Zunächst stellte die Europäische Kommission ihr am 18. April 2023 veröffentlichtes Gesetzgebungspaket zur Stärkung des Krisenmanagementrahmens für Banken vor. Das Paket enthalte Vorschläge zur Anpassung der Richtlinien zur Sanierung und Abwicklung von Banken und Wertpapierfirmen, zu den Einlagensicherungssystemen und der Verordnung über den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus sowie einen Vorschlag zur Adressierung von Beteiligungsketten innerhalb von Abwicklungsgruppen, sogenannten Daisy Chains. Die Europäische Kommission betonte, die Vorschläge seien miteinander verknüpft und sollten nicht einzeln betrachtet werden. Mit der Überarbeitung des Rahmens für das Krisenmanagement im Bankensektor und für die Einlagensicherung möchte die Europäische Kommission die Kriseninstrumente zur Bewältigung von Ausfällen mittlerer und kleiner Banken verbessern. Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus, der Einheitliche Abwicklungsausschuss und der Europäische Stabilitätsmechanismus unterstützten den Kommissionsvorschlag.

    Bundesfinanzminister Christian Lindner begrüßte, dass die Europäische Kommission einen Legislativvorschlag zur Stärkung des Krisenmanagementrahmens vorgelegt habe und damit der Aufforderung der Eurogruppe nachgekommen sei. Jetzt sei sicherzustellen, dass die Einigung der Eurogruppe auch eingehalten werde. Das Ziel sei eine gezielte und effektive Verbesserung des Krisenmanagementrahmens – der Kommissionsvorschlag enthalte aber weitergehende Änderungen. Er habe starke Zweifel, dass der Kommissionsvorschlag zur Überarbeitung des Krisenmanagementrahmens für Banken in die richtige Richtung gehe. Er äußerte drei zentrale Kritikpunkte:

    1. einen erleichterten Zugriff auf den vergemeinschafteten europäischen Abwicklungsfonds und die nationalen Einlagensicherungsmittel,
    2. die mangelnde Berücksichtigung funktionierender nationaler Systeme für kleine und mittlere Banken und
    3. die Behandlung der Institutssicherungssysteme.

    Die schwedische Ratspräsidentschaft berichtete, dass sie die Verhandlungen im Rat bereits im Mai beginnen wolle. Beim ECOFIN am 16. Mai 2023 sei ein Austausch auf Ebene der Ministerinnen und Minister im EU-Kreis angesetzt. Während einige Mitgliedstaaten eine grundsätzliche Offenheit für die Vorschläge zeigten, äußerten sich andere Mitgliedstaaten kritischer, insbesondere mit Verweis auf das Grundprinzip der Verlusthaftung von Eigentümern und Gläubigern.

    Der Präsident der Eurogruppe Paschal Donohoe schlussfolgerte, dass sich die Lage am Bankenmarkt in den USA von derjenigen in der EU unterscheide. Es sei wichtig, dass die Arbeiten an der Vollendung der Bankenunion voranschritten. Die vereinbarte Reihenfolge der Eurogruppenerklärung vom 16. Juni 2022 sei zu beachten. Zuvorderst gehe es jetzt um die Überarbeitung des Krisenmanagementrahmens für Banken.

    Ferner informierte Paschal Donohoe die Eurogruppe über den Euro-Gipfel im März 2023, an dem er und die Präsidentin der EZB Christine Lagarde teilgenommen hätten. Er kündigte an, dass er regelmäßig Befassungen mit der Kapitalmarktunion plane. Unter Sonstiges stellte der neue estnische Finanzminister Mart Võrklaev die Prioritäten der neuen estnischen Regierung vor.

    ECOFIN-Rat

    Das Treffen am 28. April 2023 begann mit einem Arbeitsessen der Ministerinnen und Minister zum Thema „Der Umgang mit steigenden Kosten für Haushalte und Unternehmen – nationale Erfahrungen und Überlegungen“. Das Arbeitsmittagessen bot den Ministerinnen und Ministern die Gelegenheit, sich zu ihren Erfahrungen im Umgang mit den Herausforderungen der hohen Inflation auszutauschen, unter der die privaten Haushalte und Unternehmen in der ganzen EU leiden.

    Bundesfinanzminister Christian Lindner informierte über die positiven Erfahrungen mit den Energiepreisbremsen. Die Energiepreisbremsen für private Haushalte, kleine und mittlere Unternehmen und die Industrie sollen helfen, die Inflationsrate zu dämpfen und vorübergehend Spitzen bei Energiekosten zu überbrücken. Gleichzeitig werde das Risiko einer Störung der Marktmechanismen vermieden und Anreize zum Energiesparen würden gewahrt werden, da frei kontrahierte Endverbraucherpreise weiterhin uneingeschränkt gelten würden.

    Auch die anderen Ministerinnen und Minister berichteten von den jeweiligen Erfahrungen mit den nationalen Unterstützungsmaßnahmen. Sie stimmten darin überein, dass diese umsichtig ausgestaltet sein müssten, um die Inflation nicht weiter anzutreiben. Zudem sei der richtige Ausstiegszeitpunkt wichtig.

    Im Anschluss fand eine gemeinsame Arbeitssitzung der Ministerinnen und Minister mit den Notenbankgouverneurinnen und Notenbankgouverneuren zum Thema „Die Finanzierung des künftigen Wachstums in Europa“ statt.

    Der Vorstandsvorsitzende der Skandinaviska Enskilda Banken Marcus Wallenberg hielt einen Eröffnungsvortrag: Er betonte die Bedeutung der Finanzierung des künftigen Wachstums. Es gelte, insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Die EU hinke im internationalen Vergleich in einigen Bereichen hinterher; dies betreffe nicht nur die Kapitalmärkte, sondern auch die Innovationsfähigkeit. Aber Europa habe auch große, leistungsstarke Unternehmen. Er sprach sich für einen Maßnahmenmix aus, der die Stärkung der Banken- und Kapitalmarktunion, die Förderung des Unternehmergeists, die grüne und digitale Transformationen sowie die Stärkung der Investitionstätigkeit einschließe.

    Die Europäische Kommission betonte, dass die Stärkung der Kapitalmarktunion aktuell wichtiger denn je sei. Die Mobilisierung privaten Kapitals sei essenziell. Finanzministerin Elisabeth Svantesson, die Vorsitzende der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft, bat die Mitgliedstaaten um ihre politische Unterstützung, um wichtige Dossiers im Bereich der Kapitalmarktunion noch in dieser Legislatur abzuschließen. Die EU sei nicht schlecht im Bereich der Start-up-Finanzierung, die Herausforderung liege im Bereich der Scale-ups.

    Die Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank Claudia Buch stellte darauf ab, dass die EU, insbesondere im Übergang zu „net zero“, einer gewaltigen wirtschaftlichen Transformation gegenüberstehe. Hinsichtlich der Finanzierung der Transformation gebe es keine generellen Engpässe, allerdings in Teilbereichen einen schwierigeren Finanzierungszugang, etwa für kleinere Unternehmen. Die Gründe hierfür müssten untersucht werden, damit staatliche Maßnahmen private Finanzierung gezielt flankieren könnten. Ein wesentlicher Aspekt sei es, Unsicherheiten für Investorinnen und Investoren zu verringern, beispielsweise durch klare Rahmenbedingungen in der Klimapolitik. Zentral sei zudem die Verfügbarkeit von Beteiligungskapital für längerfristige Investitionen.

    Die Ministerinnen und Minister waren sich einig, dass in den Finanzierungsbedingungen für junge innovative Unternehmen ein Schlüssel für eine zukunftsfähige Wirtschaft liege. Es wurde anerkannt, dass die Kapitalmarktfinanzierung in Europa noch besser werden könne und dass weitere Reformen notwendig seien, um die Kapitalmarktunion zu vertiefen. In der Aussprache spannten die Ministerinnen und Minister und die Notenbankgouverneurinnen und Notenbankgouverneure einen breiten Bogen von der Bedeutung von Strukturreformen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen und Investitionen und der Schaffung eines wachstumsfreundlichen Umfelds über die Finanzierungsherausforderungen von innovativen Unternehmen sowie die Rolle der Bankenfinanzierung und der Besteuerung bis zu den Rahmenbedingungen für Insolvenzverfahren. Auch die Fragmentierung des europäischen Kapitalmarkts, die Notwendigkeit der Verbesserung grenzüberschreitender Zahlungen und die Bedeutung der Mobilisierung privaten Kapitals wurden thematisiert.

    Ausgehend von der Vereinbarung der Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der EU im März 2023 bekräftigten die schwedische Ratspräsidentschaft, die nachfolgenden spanischen und belgischen Ratspräsidentschaften, die Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments Irene Tinagli und die EU-Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und die Kapitalmarktunion Mairead McGuinness die Arbeit an den Gesetzgebungsvorschlägen im Bereich Kapitalmarktunion vor der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2024 abschließen zu wollen, um entscheidende und konkrete Fortschritte bei der Schaffung einer vollwertigen Kapitalmarktunion zu erzielen.

    Am 29. April 2023 widmete sich die zweite Arbeitssitzung dem Thema „Eine langfristige Perspektive für Stabilisierungsmaßnahmen und tragfähige öffentliche Finanzen“.

    Der Direktor der wirtschaftswissenschaftlichen Denkfabrik „Bruegel“ Jeromin Zettelmeyer führte in das Thema ein, bevor auf Vorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft die Diskussion in Kleingruppen fortgesetzt wurde. Er unterstrich, dass in den meisten EU-Ländern eine stärkere Anpassung der öffentlichen Haushalte erforderlich sein werde als derzeit geplant, um

    1. die Schuldenstandsquoten zu stabilisieren oder zu senken und
    2. den wesentlich höheren Bedarf an öffentlichen Investitionen zu decken.

    Die fiskalische Anpassung solle beginnen, sobald die konjunkturellen Bedingungen es zulassen würden. Das zukünftige Realzinsumfeld sei hochgradig unsicher. Einige der erforderlichen Investitionen könnten effizienter und damit kostengünstiger sein, wenn sie auf EU-Ebene getätigt werden würden. Hier sehe er weiteren Untersuchungsbedarf.

    Die Ministerinnen und Minister nutzten die Gelegenheit, um Ideen dazu auszutauschen, wie tragfähige öffentliche Finanzen gewährleistet werden könnten und gleichzeitig ausreichend Raum für öffentliche Investitionen ermöglicht würden. Für die Bundesregierung schließen sich tragfähige öffentliche Finanzen und die Modernisierung der Wirtschaft sowie Wachstum nicht aus, solange Zukunftsinvestitionen priorisiert und die Qualität der öffentlichen Finanzen verbessert würden. Eine Plenumsbefassung im Anschluss an die Kleingruppen gab es nicht.

    Die dritte Arbeitssitzung behandelte das Thema „Wiederaufbau der Ukraine und Koordinierung der Unterstützung“. Als erster Gastredner berichtete der ukrainische Finanzminister Sergii Marchenko von der aktuellen Lage in der Ukraine. Angesichts der breiten und fortgesetzten Hilfszusagen zeigte er sich relativ optimistisch für die wirtschaftliche Entwicklung im Jahr 2023. Für 2023 werde ein reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von 3,2 Prozent erwartet; die Lage sei aber mit großen Unsicherheiten verbunden. Sergii Marchenko betonte die Reformanstrengungen der Ukraine: Die Ukraine erfülle ihre Verpflichtungen und setze ihre Reformagenda unter Kriegsbedingungen auch mit dem Ziel um, künftig unabhängiger von ihren Partnern zu werden. Dies reiche von Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung und zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit über Maßnahmen zur Sicherung der makrofinanziellen Stabilität sowie Haushalts- und Steuerreformen bis zu Maßnahmen im Bereich Governance und Wachstum. Für das Haushaltsjahr 2023 habe die EU zum Stichtag 10. April 2023 bereits einen Finanzbeitrag von 4,9 Mrd. Euro an die Ukraine geleistet. Mit Blick auf die Sanktionen betonte er, dass die Unterstützung der Ukraine im Interesse aller liege und die Umgehung von Sanktionen verhindert werden müsse.

    Als zweite Gastrednerin bekundete die kanadische Finanzministerin und stellvertretende Premierministerin Chrystia Freeland ihren Dank für den Abschluss des CETA-Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada. Dies sei ein Ausdruck der europäisch-kanadischen Partnerschaft. Kanada leiste substanzielle Unterstützung für die Ukraine, da der Kampf der Ukraine ein Kampf für gemeinsame Werte und für die Demokratie sei. Wichtig sei es, die richtigen Weichen zu stellen für die Sicherung der langfristigen Überlebensfähigkeit der Ukraine. Auch der Direktor des Stockholm Institute of Transition Economics Torbjörn Becker rief zu einer nachhaltigen Unterstützung der Ukraine auf.

    Die Ministerinnen und Minister zollten der Ukraine ihren Respekt. Sie versicherten außerdem ihre Solidarität und Unterstützung im fortlaufenden Kampf für Frieden und den Wiederaufbau. Eine fortgesetzte Koordination und Kooperation der Unterstützung mit den internationalen Partnern sei zentral. Die Bundesregierung sieht die eingerichtete internationale Geberkoordinierungsplattform als wichtigen Schritt zur Koordinierung der Unterstützung für die Ukraine. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass die Plattform zügig ihre Arbeiten zur Vorbereitung des Wiederaufbaus und bei der Unterstützung der ukrainischen Reformagenda unter Einbindung von Zivilgesellschaft, Kommunen und Privatwirtschaft vorantreibt.

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