Signale für konjunkturelle Abschwächung überwiegen trotz leichter Verbesserung der Stimmung
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland ist nach Detailmeldung des Statistischen Bundesamts im 3. Quartal 2022 in preis-, kalender- und saisonbereinigter Rechnung um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal gestiegen (Schnellmeldung +0,3 Prozent). Die deutsche Wirtschaft erwies sich damit – nach Zuwächsen von 0,8 Prozent im 1. Quartal und 0,1 Prozent im 2. Quartal – auch im Herbst als robust gegenüber den schwierigen Rahmenbedingungen, vor allem den Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine.
Der Zuwachs der Wirtschaftsleistung ging dabei maßgeblich auf die privaten Konsumausgaben zurück, die gegenüber dem 2. Quartal 2022 auch aufgrund pandemiebedingter Nachholeffekte um 1,0 Prozent zulegten. Auch von den Ausrüstungsinvestitionen – also Investitionen u. a. in Maschinen und Geräte – ging mit einer Zunahme um 2,7 Prozent gegenüber dem Vorquartal bei nachlassenden Lieferkettenengpässen ein positiver Impuls aus. Dagegen wurden die Bauinvestitionen um 1,4 Prozent reduziert. Beim Außenhandel schlug sich u. a. die wieder etwas entspanntere Situation der globalen Lieferketten in Zuwächsen von 2,0 Prozent bei den Exporten und 2,4 Prozent bei den Importen nieder.
Vorausblickende Konjunkturindikatoren deuten aber weiterhin auf eine konjunkturelle Abschwächung hin. So sind die Erwartungen der Unternehmen sowie Konsumentinnen und Konsumenten über die weitere wirtschaftliche Entwicklung – trotz zuletzt leichter Aufhellung – pessimistisch ausgerichtet. Die anhaltend sehr hohe Inflation verringert die Kaufkraft der Verbraucherinnen und Verbraucher. Im Oktober 2022 gingen die Einzelhandelsumsätze kräftig zurück. Der Abwärtstrend bei den Auftragseingängen wurde am aktuellen Rand nur durch Großaufträge unterbrochen. Insgesamt ist daher im Winterhalbjahr mit einer gedämpften wirtschaftlichen Entwicklung zu rechnen.
Gleichzeitig spricht die leichte Erholung der Stimmungsindikatoren dafür, dass die konjunkturelle Abwärtsbewegung weniger stark ausfallen könnte, als es zwischenzeitlich zu befürchten gewesen ist. Die Entlastungspakete und insbesondere die Strom- und Gaspreisbremsen dürften nicht unwesentlich zu einer Erwartungsstabilisierung beigetragen haben. Daneben entwickelt sich der Arbeitsmarkt trotz erkennbarer Auswirkungen der angespannten Lage stabil. Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung liegen auf Rekordniveau. Die Kurzarbeit ist zwar gestiegen, aber sehr weit von den pandemiebedingten Höchstwerten entfernt.
Die Steuereinnahmen insgesamt (ohne Gemeindesteuern) lagen im November 2022 leicht (+2,0 Prozent) oberhalb des Ergebnisses vom November 2021. Die Interpretation des Vorjahresvergleichs wird in diesem Monat erheblich durch Sondereinflüsse, vor allem bei der Einfuhrumsatzsteuer und der Körperschaftsteuer, erschwert (s. a. Beitrag zur Entwicklung der Steuereinnahmen in dieser Ausgabe). Mit Blick auf die konjunkturelle Entwicklung lässt sich festhalten, dass das Aufkommen aus einigen zentralen Steuerarten wie der Lohnsteuer den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine weiter grundsätzlich trotzen konnte. Bei einigen Steuern wie der Grunderwerbsteuer wirkt sich die gesamtwirtschaftliche Lage sowie die Verschlechterung der Finanzierungskonditionen dagegen negativ auf das Aufkommen aus. Die weitere Entwicklung der Steuereinnahmen bleibt mit Blick auf die gesamtwirtschaftlichen Einflussfaktoren mit hoher Unsicherheit behaftet.
Erneuter Rückgang von Warenexporten und -importen im Oktober 2022
Die nominalen Warenexporte gingen im Oktober kalender- und saisonbereinigt um 0,6 Prozent gegenüber dem Vormonat zurück. Dennoch lagen die Ausfuhren weiter deutlich über dem Vorjahresniveau (+14,2 Prozent). Die nominalen Warenimporte fielen im Oktober um 3,7 Prozent deutlich gegenüber dem Vormonat. Im Vorjahresvergleich lagen die Einfuhren um 20,9 Prozent höher. Insgesamt ergab sich so ein Saldo der gesamten Warenbilanz von 6,9 Mrd. Euro.
Hinter dem Rückgang in nominaler Rechnung stehen einerseits sinkende Import- und Exportpreise (-1,2 Prozent beziehungsweise -1,9 Prozent zum Vormonat), wobei sich insbesondere der Rückgang der Gaspreise im Oktober in einem nominal verringerten Importvolumen bemerkbar gemacht haben dürfte. Andererseits dürfte sich im Rückgang auch die Verlangsamung der Weltkonjunktur widerspiegeln.
Nach vorn blickend hellten sich einige Indikatoren für den Außenhandel am aktuellen Rand etwas auf. So waren die Staus vor den Containerhäfen laut Kiel Trade Indicator insbesondere in der Nordsee deutlich rückläufig. Frachtraten auf internationalen Routen gingen ebenso tendenziell weiter zurück und nähern sich dem Vorpandemieniveau. Die Stimmung unter den deutschen Exporteuren hat sich gemäß Umfragen des ifo Instituts zuletzt wieder etwas verbessert. Die ifo Exporterwartungen sind im November 2022 auf +0,4 Punkte gestiegen, von -4,6 Punkten im Oktober 2022. Positive und negative Aussichten halten sich gegenwärtig die Waage. Insgesamt ist daher für den Außenhandel zwar mit einer verhaltenen, aber grundsätzlich nicht deutlich verschlechterten Entwicklung zu rechnen.
Produktion im Oktober 2022 unverändert zum Vormonat
Die Produktion im Produzierenden Gewerbe verblieb im Oktober saisonbereinigt auf nahezu unverändertem Niveau (-0,1 Prozent gegenüber Vormonat, September revidiert +1,1 Prozent). Dabei verringerte sich die Industrieproduktion leicht (-0,4 Prozent), während die Produktion im Bau deutlich zulegte (+4,2 Prozent). Die Belastung durch stark gestiegene Energiepreise hat sich im erneuten Rückgang der Produktion in den energieintensiven Industriezweigen gezeigt. Insbesondere die Produktion in der chemischen Industrie liegt inzwischen über 20 Prozent unter dem Niveau des Vorjahresmonats.
Der reale Umsatz im Verarbeitenden Gewerbe verringerte sich im Oktober saisonbereinigt um 0,2 Prozent gegenüber dem Vormonat. Im Vergleich zum Vorjahresmonat lag er um 5,5 Prozent höher. Die Auftragseingänge im Verarbeitenden Gewerbe stiegen im Oktober um saisonbereinigt 0,8 Prozent gegenüber dem Vormonat (September revidiert -2,9 Prozent). Ohne die Berücksichtigung von Großaufträgen war allerdings ein Rückgang um 1,2 Prozent zu verzeichnen. Im Vergleich zum Vorjahresmonat lagen die Auftragseingänge um 3,2 Prozent niedriger. Das Volumen der Inlandsaufträge sank im Oktober um 1,9 Prozent, während sich das Volumen der Auslandsaufträge um 2,5 Prozent erhöhte. Besonders stark sank der Auftragseingang im Bereich der Konsumgüter (-6,3 Prozent).
Dagegen verringerten sich die Materialknappheit in der Industrie und die Lieferkettenstörungen weiter – wenn auch auf noch deutlich erhöhtem Niveau. So berichteten laut Ifo Institut im November 2022 noch 59,3 Prozent der befragten Unternehmen von Engpässen, nach 63,8 Prozent im Oktober und 65,8 Prozent im September.
Insgesamt ist trotz des auf Großaufträge zurückzuführenden leichten Anstiegs bei den Auftragseingängen im Verarbeitenden Gewerbe und noch gut gefüllter Auftragsbücher zu erwarten, dass die Produktion auch in den kommenden Monaten unter Druck bleiben dürfte. Sowohl das ifo Geschäftsklima als auch die Exporterwartungen hatten sich zwar zuletzt leicht verbessert, liegen aber dennoch weiterhin auf niedrigem Niveau. Der Ausblick in der Industrie für den Winter bleibt damit getrübt.
Reale Einzelhandelsumsätze im Oktober 2022 rückläufig
Nach dem leichten Anstieg im Vormonat gingen die realen Einzelhandelsumsätze zum Start ins Schlussquartal 2022 relativ kräftig zurück: Im Oktober sanken sie gegenüber dem Vormonat kalender- und saisonbereinigt um 2,8 Prozent. Nach Einzelbereichen lagen die realen Umsätze im Oktober im Bereich Lebensmittel um 1,2 Prozent, im Einzelhandel mit Nicht-Lebensmitteln um 4,5 Prozent niedriger als im Vormonat. Beim Handel mit Einrichtungsgegenständen und Haushaltsgeräten sowie Bekleidung und Schuhen war ein merkliches Minus von 11,2 Prozent beziehungsweise 7,9 Prozent gegenüber September zu verzeichnen. Beim Internet- und Versandhandel kam es zu einem Rückgang von 1,8 Prozent gegenüber September. Im Vergleich zum Vorjahresmonat lagen die Einzelhandelsumsätze real um 5,0 Prozent niedriger, nominal aber um 6,2 Prozent höher. Der reale Umsatz im Gastgewerbe sank im September kalender- und saisonbereinigt um 0,9 Prozent gegenüber dem Vormonat. Gegenüber dem Vorjahresmonat war der reale Umsatz um 14,4 Prozent höher; nominal lag der Umsatz um 25,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats.
Mit Blick auf die weitere Entwicklung hat sich das ifo Geschäftsklima im Einzelhandel am aktuellen Rand etwas verbessert. Es liegt aber weiterhin sehr deutlich im pessimistischen Bereich, insbesondere bezüglich der Entwicklung in den nächsten Monaten sind die Firmen per saldo sehr negativ gestimmt. Das GfK-Konsumklima hat sich am aktuellen Rand stabilisiert, auch hier jedoch auf sehr niedrigem Niveau. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) berichtet dabei, dass die Einkommenswartung zuletzt – nach vorher starken Rückgängen – zum zweiten Mal in Folge moderat zulegen konnte. Auch die Einschätzung der Verbraucherinnen und Verbraucher zur weiteren konjunkturellen Entwicklung habe sich wieder leicht aufgehellt. Zudem sei zwar die Sparneigung etwas zurückgegangen, dies habe sich jedoch noch nicht in einem Wiederanstieg der Anschaffungsneigung niedergeschlagen.
Entwicklung ab Arbeitsmarkt schwächt sich leicht ab – Lage bleibt aber robust
Die Entwicklung am Arbeitsmarkt schwächte sich am aktuellen Rand etwas ab. So fiel die Herbstbelebung bei der Arbeitslosigkeit schwächer aus als in der Vergangenheit und es war saisonbereinigt ein Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. Dieser hängt – anders als im Sommer – nicht mehr mit der Erfassung ukrainischer Arbeitsloser zusammen. Die Zahl der als arbeitslos registrierten Personen lag im November 2022 nach Ursprungswerten bei 2,43 Millionen Personen (rund -8.000 Personen gegenüber Vorjahresmonat). Die Arbeitslosenzahl nahm gegenüber dem Vormonat um rund 17.000 Personen zu. Die Arbeitslosenquote erhöhte sich gegenüber dem Vormonat um 0,1 Prozentpunkte auf 5,6 Prozent (5,3 Prozent nach Ursprungswerten). Nach Konzept der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) waren im Oktober 1,30 Millionen Personen erwerbslos, die Erwerbslosenquote lag bei 3,0 Prozent.
Der Aufbau der Erwerbstätigkeit flachte sich etwas ab. Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung lagen aber weiter auf Rekordniveau. Erwerbstätig waren im Oktober nach Inländerkonzept und Ursprungswerten 45,7 Millionen Personen, das waren 428.000 Personen mehr als im Vorjahresmonat (+0,9 Prozent). Gegenüber dem Vormonat kam es zu einem Anstieg von saisonbereinigt 32.000 Personen (+ 0,1 Prozent). Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung lag nach Hochrechnung der Bundesagentur für Arbeit im September bei 34,9 Millionen Personen (+1,7 Prozent gegenüber Vorjahresmonat).
Die Kurzarbeit wurde im September ausgeweitet: Nach Hochrechnung der Bundesagentur für Arbeit (BA) erhielten im September 157.000 Beschäftigte konjunkturelles Kurzarbeitergeld (+81.000 Personen gegenüber August 2022). Die neu angezeigte Kurzarbeit verblieb im November auf erhöhtem Niveau: Vom 1. bis 24. November wurden bei der BA Anzeigen auf Kurzarbeit für 82.000 Personen gestellt (im Oktober waren es insgesamt Anzeigen für 98.000 Personen). 68 Prozent der Anzeigen entfielen dabei auf Beschäftigte aus dem Produzierenden Gewerbe. Von den pandemiebedingten Hochwerten für angezeigte Kurzarbeit waren die Zahlen aber weit entfernt.
Frühindikatoren für die Beschäftigungsaussichten haben sich am aktuellen Rand stabilisiert und liegen weiterhin auf eher neutralem Niveau. Die Unternehmen versuchen auch angesichts des Fach- und Arbeitskräftemangels, ihre Beschäftigten zu halten. Insgesamt ist für die nächsten Monate damit zu rechnen, dass die erwartete konjunkturelle Eintrübung zwar am Arbeitsmarkt nicht spurlos vorbeigeht. Von einer merklichen Verschlechterung der Lage ist aber nicht auszugehen.
Die Lohnsteuereinnahmen lagen im November 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat um 3,6 Prozent höher, obwohl im Jahresverlauf bereits beträchtliche steuerliche Entlastungsmaßnahmen in Verbindung mit den stark gestiegenen Energiepreisen erfolgten. Insgesamt spiegelte die Aufkommensentwicklung die trotz der gesamtwirtschaftlichen Belastungen vergleichsweise stabile Lage am Arbeitsmarkt wider.
Inflationsrate sinkt auf sehr hohem Niveau leicht
Die Inflationsrate (Veränderung des Verbraucherpreisindex gegenüber dem Vorjahresmonat) lag im November bei 10,0 Prozent und damit wieder leicht niedriger als im Vormonat (10,4 Prozent). Gegenüber Oktober 2022 kam es zu einem Rückgang des Index um 0,5 Prozent. Die Teuerungsrate bei Energie schwächte sich auf sehr hohem Niveau etwas ab (38,7 Prozent nach 43,0 Prozent im Vormonat), auch bei Dienstleistungen lag die Preissteigerungsrate mit 3,6 Prozent etwas niedriger als im Vormonat (4,0 Prozent). Dagegen beschleunigte sich die Teuerung bei Nahrungsmitteln nochmals von 20,3 Prozent im Vormonat auf 21,1 Prozent.
Die Erzeugerpreise sanken im Oktober 2022 erstmals seit Mai 2020 im Vormonatsvergleich wieder. Der Rückgang war maßgeblich auf die Energiepreise zurückzuführen, die gegenüber dem Vormonat um 10,4 Prozent zurückgingen. So war vor allem der Gaspreis bei vollen Speichern und milder Witterung im Oktober rückläufig, im November bewegte er sich eher seitwärts. Der Preis für Rohöl der Sorte Brent stagnierte im Oktober; im November gab er wohl u. a. wegen Sorgen um die konjunkturelle Entwicklung in China nach.
Aktuelle Umfrageergebnisse des ifo Instituts zeigen, dass Unternehmen gestiegene Einkaufspreise im Durchschnitt bislang zu 34 Prozent an ihre Kunden weitergereicht haben. Bis April 2023 planen sie, die Preisweitergabe auf 50 Prozent zu erhöhen. Zwischen den Branchen gibt es aber deutliche Unterschiede in der erfolgten (und geplanten) Weitergabe: Die deutlichste Preisüberwälzung findet sich im Verarbeitenden Gewerbe, die geringsten Anteile im Dienstleistungsbereich. Mit Blick auf die nächsten Monate planen insbesondere Lebensmitteleinzelhändler und Drogerien, weitere Preiserhöhungen vorzunehmen.
Unter anderem die Umfrageergebnisse des ifo Instituts zeigen, dass auch in den nächsten Monaten der Inflationsdruck durch die anhaltende Preisweitergabe stark erhöht sein dürfte. Im weiteren Jahresverlauf 2023 ist dann nach aktueller Einschätzung mit insgesamt abnehmenden Inflationsraten zu rechnen, auf allerdings noch deutlich erhöhtem Niveau.