- Anlässlich des 70. Jahrestags des Luxemburger Abkommens von 1952 wurde 2022 das „Gedenkjahr der Wiedergutmachung“ begangen.
- Das Abkommen mit Israel unter Beteiligung der Claims Conference nur sieben Jahre nach Ende des Holocausts war ein Meilenstein für alle Beteiligten.
- Der 70. Jahrestag des Abkommens fand international große Aufmerksamkeit und wurde auch durch das BMF mit einer Gedenkveranstaltung unter Beteiligung des Bundeskanzlers Olaf Scholz im Jüdischen Museum in Berlin hervorgehoben.
- Darüber hinaus haben BMF und Claims Conference verschiedene kooperative Unternehmungen zur Sichtbarkeit des Abkommens und seiner Folgewirkungen bis in die heutige Zeit und in die Zukunft unternommen. Dabei wurden auch Projekte mit nichtjüdischen Opfervertretungsorganisationen, wie dem Bundesverband für NS-Verfolgte in Köln, einbezogen.
- Im Zuge des Gedenkjahres entstanden u. a. der Dokumentationsfilm „Reckonings“ sowie eine Ausstellung im Deutschen Bundestag. Zudem wurde eine erste Version des Themenportals Wiedergutmachung als zentraler Zugangspunkt zu allen Akten der Wiedergutmachung im Gedenkjahr freigeschaltet.
Abkommen mit dauerhafter Auswirkung
Das am 10. September 1952 in Luxemburg durch Bundeskanzler Konrad Adenauer und Israels Außenminister Mosche Scharett unter Beteiligung des Präsidenten der Conference on Jewish Material Claims Against Germany Nachum Goldmann unterzeichnete Luxemburger Abkommen über (west-)deutsche Entschädigungsleistungen war in vielfacher Hinsicht ein Meilenstein. Zunächst ist zu konstatieren, dass alle drei Beteiligten zum Zeitpunkt des Verhandlungsgegenstands – der im deutschen Namen begangenen Verbrechen im Nationalsozialismus – noch nicht existierten: Israel gründete sich als demokratischer und jüdischer Staat im Mai 1948, die Bundesrepublik gar erst ein Jahr später mit Verabschiedung des Grundgesetzes im Mai und der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag im August 1949. Die Claims Conference schließlich entstand im Oktober 1951 als Dachverband von 23 internationalen jüdischen Organisationen.
Die Conference on Jewish Material Claims Against Germany,
auch Claims Conference oder Jewish Claims Conference, ist ein Zusammenschluss internationaler jüdischer Organisationen. Sie vertritt seit ihrer Gründung 1951 Entschädigungsansprüche jüdischer Opfer des Nationalsozialismus und Holocaust-Überlebender. Die Organisation mit Sitz in New York City unterhält in Frankfurt am Main, Berlin, Wien und Tel Aviv Repräsentanzen.
Das Luxemburger Abkommen
vom 10. September 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel unter Beteiligung der Conference on Jewish Material Claims Against Germany war das erste Abkommen für den Versuch einer Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts.
Es handelte sich um den ersten bilateralen Vertrag der noch sehr jungen Bundesrepublik nach Erlangung der Teilsouveränität durch den Deutschlandvertrag im Mai 1952. Ein Abkommen unter Beteiligung einer Nichtregierungsorganisation, die die Claims Conference bis heute darstellt, hatte es darüber hinaus auch noch nicht gegeben. Dass es hierzu überhaupt kam, liegt im Angebot Konrad Adenauers vom 27. September 1951 begründet, in dem er die Bereitschaft zu Verhandlungen mit Israel und „einem weiteren Vertreter des Weltjudentums“ erklärt hatte. Hieraufhin gründete sich die Claims Conference und verhandelt mit Unterbrechungen seither mit dem BMF in ihrer Eigenschaft als Vertreterin jüdischer Interessen mit Ausnahme Israels. Bis heute stellt das Luxemburger Abkommen inhaltlich wie symbolisch einen wichtigen Anknüpfungspunkt zu den moralischen Hintergründen der aktuellen Entschädigungspolitik und den Zukunfts- und Folgeaufgaben der Wiedergutmachung dar.
1952 übernahm die Bundesrepublik nach langen und hochkomplexen Verhandlungen erstmalig die Verantwortung für die im Nationalsozialismus begangenen Verbrechen insbesondere an den Juden und verpflichtete sich zu Entschädigungszahlungen in Höhe von circa 12 Prozent des damaligen Bundeshaushaltsvolumens, zahlbar in Waren und Dienstleistungen. Darüber hinaus wurde in den Protokollanhängen zum Vertrag festgelegt, dass die Bundesrepublik Entschädigungsprogramme für Individualzahlungen an die betroffenen Opfer selbst gesetzlich regeln sollte. Dies war eine wichtige Vorbedingung für das in der Folge implementierte Bundesentschädigungsgesetz und weitere Regelungen zur Entschädigung und Rückerstattung. Die Verhandlungen und das Abkommen selbst waren weder in Israel noch in der Bundesrepublik in der Öffentlichkeit populär oder überhaupt gewollt. Gerade einmal 11 Prozent der Deutschen unterstützten Umfragen zufolge die schwierigen, im niederländischen Wassenaar geführten Gespräche mit Israel und der Claims Conference. In Israel zeigte sich der Widerstand dagegen sichtbar auf der Straße: Ein großer Teil der Bevölkerung lehnte die Verhandlungen mit „den Tätern“ nur sieben Jahre nach dem Ende des Holocausts rundweg ab, bezeichnete Entschädigungen als „Blutgeld“ und befürchtete, man werde am Ende auch noch vorgeführt werden. Unter Führung des Oppositionsführers und späteren Ministerpräsidenten Menachem Begin kam es zu lautstarken Protesten und sogar zu Straßenschlachten mit der Polizei, die versuchte, Abgeordnete der Knesset vor Steine werfenden Demonstranten zu schützen.
Nach Unterzeichnung des Abkommens und nachdem gemäß der Vereinbarung Lieferungen zum vereinbarten Preis über den Zeitraum von 14 Jahren erfolgt waren, verstummte die Ablehnung in beiden Ländern fast schlagartig. In Deutschland profitierte die deutsche Wirtschaft nicht unerheblich. In Israel sorgten die regelmäßigen Warenlieferungen und Garantien für Rohölimporte für eine Gesundung des bis dahin stark in Schieflage geratenen Staatshaushalts und einen enormen Anschub der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Bevor 1965 diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel aufgenommen wurden, war das Abkommen ein erster, unersetzbarer Meilenstein für die deutsch-israelischen Beziehungen und ist es bis heute für die deutsch-israelische Freundschaft. Darüber hinaus diente die Vereinbarung als initialer Schritt auf dem langen Weg der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen und für den Aufbau von Beziehungen zur jüdischen Welt nach dem Holocaust.
Anlässlich des 70. Jahrestags des Luxemburger Abkommens hat das BMF ein Gedenkjahr der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts ins Leben gerufen und hierzu unter teilweiser Mitwirkung der Claims Conference verschiedene Veranstaltungen und Aktivitäten durchgeführt.
„Reckonings“ – erster Dokumentarfilm zum Luxemburger Abkommen und zur Wiedergutmachung
Bei den jährlichen Verhandlungen auf der Grundlage der Artikel-2-Vereinbarung im Jahr 2019 verständigten sich die Claims Conference und das BMF auf die gemeinsame Beauftragung eines Dokumentarfilms zum Luxemburger Abkommen anlässlich des 70. Jahrestags im Jahr 2022. Hierzu engagierte die Claims Conference die international bekannte und preisgekrönte US-amerikanische Regisseurin und Drehbuchautorin Roberta Grossman, die in der Vergangenheit u. a. für ihren Dokumentarfilm „Who Will Write Our History“ ausgezeichnet wurde. Mit der Bereitschaft, einen Film über die Wiedergutmachung zu produzieren, stand sie vor der besonderen Herausforderung, ein komplexes, unzugängliches und unbequemes Thema öffentlichkeitswirksam und „konsumierbar“ umzusetzen und dabei die Perspektiven Israels, der Claims Conference und der Bundesregierung gleichermaßen zu integrieren und in Einklang zu bringen.
Dies verlangte neben allen handwerklich und künstlerisch notwendigen Attributen vor allem Fingerspitzengefühl und diplomatisches Geschick: Sowohl die Claims Conference als auch das BMF achteten bei der Entstehung, der vielfachen Überarbeitung und der letztlichen Umsetzung von Drehbuch und Film auf unerlässlich erscheinende Narrative und Perspektiven. Das Ergebnis, das am 18. Mai 2022 in Berlin im Delphi Filmpalast Vorpremiere feierte, wird als außergewöhnlich gelungen anerkannt, wie seither zahlreiche Pressebeobachtungen und Rezensionen bestätigen. Zurzeit macht der Film die obligatorische „Tour“ über zahlreiche internationale Film-Festivals in den USA, in Europa und in Asien. Ende Oktober 2022 wurde er zur Primetime auf dem United Nations Association Film Festival in Kalifornien vorgeführt. Im Januar 2023 wird er zum Internationalen Holocaust-Gedenktag bei einer Veranstaltung der UNESCO in Paris zu sehen sein.
Neben der 74-minütigen Original-Version von „Reckonings“ gibt es bereits eine 18- und eine 58-minütige Variante, die u. a. zu Bildungszwecken eingesetzt werden sollen. Eine 40-minütige Version für den Unterricht an Schulen ist in Arbeit. Hierzu ist geplant, außerdem filmspezifisches Lehrmaterial in Auftrag zu geben, das anhand des Films und seiner Inhalte Vorbereitungsmaterial für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte bereithalten soll. Sobald die Festival-Tour im Sommer 2023 beendet ist, wird der Film kostenfrei für schulische und politische Bildungszwecke zur Verfügung stehen.
„Reckonings“
ist ein Dokumentarfilm über die Entstehung des Luxemburger Abkommens im Rahmen dessen 70-jährigen Jahrestags. Der Film wurde von BMF und der Jewish Claims Conference bei der US-amerikanischen Regisseurin Roberta Grossmann in Auftrag gegeben. Die Vorpremiere fand am 18. Mai 2022 in Berlin statt. Der Film wird derzeit auf verschiedenen Festivals gezeigt, aber noch nicht öffentlich vorgeführt. Ein Trailer des Films kann auf der Website des BMF aufgerufen werden.
Ausstellung im Deutschen Bundestag
Ein weiteres wichtiges Element im Gedenkjahr war eine Ausstellung im Deutschen Bundestag von Anfang September bis Anfang Oktober 2022. Sie wurde am 6. September von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas eröffnet. Zuvor hatte die Präsidentin mit dem israelischen Staatspräsidenten Jizchak Herzog nach seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag gemeinsam einen Rundgang zu den wichtigsten Stationen der Ausstellung gemacht.
Die Ausstellung entstand in Kooperation zwischen der Claims Conference und dem BMF sowie dem israelischen Knesset-Museum. Dazu wurden geeignete Foto- und Textquellen sowie Grafiken und Karten ausgewählt und zusammengestellt. Wie schon beim Film bestand die Herausforderung auch hier darin, die mitunter verschiedenen Perspektiven auf die Wiedergutmachungs- und Entschädigungspolitik in einer gemeinsamen Ausstellung miteinander zu vereinen.
In der feierlichen Eröffnungszeremonie im Deutschen Bundestag sprachen neben der Bundestagspräsidentin und dem Direktor des Knesset-Museums Dr. Moshe Fuksman-Shal auch der Executive Vice President der Claims Conference Greg Schneider sowie Staatssekretärin Prof. Dr. Luise Hölscher. In einem bewegenden Interview wurde die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi von ihrer Enkelin Celina Schwarz zu ihren Erinnerungen an die Verfolgung und das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz befragt. Die Biografie von Eva Szepesi ist auch Teil der Ausstellung.
Aufgrund vieler Anfragen werden mit der Claims Conference derzeit die weiteren Möglichkeiten der Präsentation der Ausstellung an anderen Orten besprochen und vorbereitet.
Botschaftssitzung im EURO-Saal und Verhandlungen 2022
Anlässlich des 84. Jahrestags der sogenannten Reichspogromnacht am 9. November 1938 und der am 12. November 1938 folgenden „Vor-Wannsee-Konferenz“ fand auf Wunsch des israelischen Botschafters in Deutschland Ron Prosor eine Sondersitzung des Diplomaten-Teams der israelischen Botschaft im EURO-Saal des BMF statt.
Wenige Tage nach der Reichspogromnacht hatte im damaligen Reichsluftfahrtministerium in diesem Saal unter Leitung des Hausherrn Herrmann Göring eine Sitzung von über 100 hochrangigen Vertretern verschiedener Ministerien aus Wirtschaft, Politik und SS stattgefunden. Ziel der über vierstündigen Besprechung war, den durch die Pogrome terrorisierten Juden zusätzliche, langfristige und bedeutende wirtschaftliche Schäden zuzufügen. So war u. a. beschlossen worden, dass die für die zahllosen beschädigten Geschäfte und Synagogen von Versicherern gezahlten Schadenssummen nicht an die jüdischen Eigentümerinnen und Eigentümer, sondern an den deutschen Staat fließen sollten – zur Abgeltung der vermeintlich durch die Juden selbst erwirkten Schäden. Weiterhin war eine Reihe von Regelungen zur Verdrängung von Juden aus dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben beschlossen worden, etwa die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“.
Botschafter Ron Prosor zog im Rahmen der Sondersitzung das bittere Resümee und mahnte gleichzeitig zur Wachsamkeit: „Das ist wie in der Geschichte von König Ahab: ‚Erst zerstöre ich dich und dein Eigentum und zum Dank darfst du mir den Teil überlassen, den ich heil gelassen habe.‘ Ich glaube, dass die Tatsache, dass wir alle hier sind und die Geschichte erzählen und darüber sprechen, auch für die Zukunft wichtig ist. Und wie ich am Anfang gesagt habe, werden Dinge getan, die aus meiner Sicht antisemitisch sind, die plötzlich salonfähig gemacht werden. Es passiert allmählich, Schritt für Schritt, und wir müssen alle dagegen kämpfen.“ Dass nun diese Sitzung der israelischen Diplomatinnen und Diplomaten in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Jahrestag von Pogrom und Vor-Wannsee-Konferenz in ebendiesem Raum stattfinden konnte, dürfte sichtbarer Ausdruck dafür sein, die dunkle deutsche Vergangenheit mit der Realität der deutsch-israelischen Freundschaft abzugleichen und gleichzeitig nicht nachzulassen im Bemühen, gemeinsam und konstruktiv Gegenwart und Zukunft zu gestalten.
Staatssekretärin Prof. Dr. Luise Hölscher hob die in Abgrenzung zur damaligen Besprechung und zu den damaligen Beschlüssen gegenwärtige Nutzung des historischen EURO-Saals hervor: „Heute hat er einen anderen Zweck“, einen gegenteiligen, denn nun finden hier u. a. die von ihr geführten jährlichen Verhandlungen mit der Claims Conference über Verbesserungen der verschiedenen Entschädigungsprogramme für die noch lebenden Verfolgten des NS-Regimes statt.
Im Mai 2022 einigte man sich nach engagiert geführten Verhandlungen auf deutsche Unterstützungsleistungen in Höhe von rund 1,2 Mrd. Euro für das Jahr 2023 zur Verteilung durch die Claims Conference. Durch besonderen Einsatz von Bundesfinanzminister Christian Lindner wurden im Sommer 2022 zusätzliche und über das ursprüngliche Verhandlungsmandat hinausgehende 180 Mio. Euro für weitere Einmalzahlungen im Zusammenhang mit der Pandemie auch im Jahr 2023 zugesagt. Außerdem wurde im Zuge der diesjährigen Verhandlungen ein Finanzpaket für die zukunftsorientierte sogenannte Holocaust Education vereinbart, das sich bis 2025 auf insgesamt 100 Mio. Euro belaufen wird; die ersten Projekte des von der Claims Conference zusammengestellten Projektkorbs werden noch in diesem Jahr starten.
Darüber hinaus unterstützt das BMF im Gedenkjahr verschiedene Projekte von Opferorganisationen. So wurde die Social-Media-Kampagne #zumfeindgemacht (Instagram) vom Bundesverband für NS-Verfolgte aus Mitteln des BMF finanziert. Ferner steht das BMF mit dem Zentralrat der Sinti und Roma im Gespräch, ein Filmprojekt des Zentralrats im Jahr 2023 zu unterstützen. Auch ein Projekt „16 Objekte“ mit dem deutschen Yad Vashem Freundeskreis, das in das Gedenkjahr eingebettet wird, wurde zum Jahresende 2022 vereinbart und konzipiert und wird im Januar 2023 im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages eröffnet.
Die Vergangenheit für die Zukunft bewahren – Fortschritte beim Data-Hub-Themenportal Wiedergutmachung
Die Akten und Dokumente der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts sollen für die Zukunft digital bereitgestellt werden. Das entstehende Portal wird ein entscheidender Pfeiler der Wiedergutmachung in einer Zeit sein, wenn keine Verfolgten mehr am Leben sein werden. Im Gedenkjahr 2022 wurden entscheidende Fortschritte gemacht. Nachdem im noch stark unter den pandemiebedingten Einschränkungen stehenden Jahr 2021 Vereinbarungen mit den Kooperationspartnern Bundesarchiv, Landesarchiv Baden-Württemberg und FIZ Karlsruhe – Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur geschlossen werden konnten, wurde unmittelbar mit einer ersten Entwicklungsphase zum Aufbau des Portals begonnen. Dort können schon heute die bereits durch die Archive standardmäßig erschlossenen Daten zur Entschädigungs- und Wiedergutmachungspolitik von Bund und Ländern erstmals zentral eingesehen werden.
Rahmenvereinbarung zum Themenportal
Anlässlich der Unterzeichnung der Rahmenvereinbarung zum Themenportal durch Staatssekretärin Prof. Dr. Luise Hölscher und die Leiterinnen und Leiter der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder am 1. Juni 2022 auf dem Petersberg bei Bonn wurde das Themenportal offiziell online geschaltet und steht seither als erstes Aktenverweissystem unter https://www.archivportal-d.de/themenportale/wiedergutmachung zur Verfügung. Es wird nun inhaltlich und funktionell Schritt für Schritt ausgebaut, technisch erweitert und für Forschung, Bildung und vor allem für die Nachkommen von NS-Opfern zugänglicher und umfänglicher nutzbar gemacht. Hierfür bildet die auf dem Petersberg geschlossene Rahmenvereinbarung eine wichtige Arbeitsgrundlage, denn die Wiedergutmachungsakten selbst liegen zum großen Teil in den Länderarchiven.
Das Themenportal Wiedergutmachung
ist ein vom BMF initiiertes Projekt, das sukzessive einen zentralen digitalen Zugang zum Dokumentenerbe der Wiedergutmachungsakten innerhalb der Strukturen des Archivportals-D der Deutschen Digitalen Bibliothek ermöglicht. Das Archivportal-D ist ein Online-Informationssystem mit spartenspezifischem Zugang zu den Daten der Deutschen Digitalen Bibliothek. Es ist als Nachweissystem für die Bestände deutscher Archive konzipiert.
Aufgrund der Bedeutung der Vereinbarung für die Zukunft der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts fand die Unterzeichnung im festlichen Rahmen auf dem Petersberg bei Bonn statt, dem ehemaligen Sitz der Alliierten Hohen Kommission – durchaus auch in Erinnerung daran, dass die ersten Regelungen zur Wiedergutmachung und Entschädigung bereits unter den westlichen Alliierten erlassen worden waren und später Einfluss auf die deutschen Regelungen hatten. Neben den Archivverwaltungen waren hochrangige Vertreterinnen und Vertreter der Länder anwesend, die nicht nur für die jeweiligen Landes- und Staatsarchive verantwortlich sind, sondern im Zuge des föderalen Aufbaus von Wiedergutmachungsregelungen ebenfalls im Bereich der künftigen Aufgaben von Wiedergutmachung wirken.
Dem Anlass entsprechend entstand ein besonderes musikalisches Begleitprogramm. Vorgetragen durch das Trio Prof. Marc Secara, Prof. Jonas Schoen und Johannes von Ballestrem wurden Stücke aus den Akten (wieder) zum Leben erweckt. Denn in den Akten der Wiedergutmachung steckt im Wortsinn Musik – unzählige während des Nationalsozialismus verfolgte Künstlerinnen und Künstler hatten in Entschädigungsverfahren als Nachweis des erlittenen wirtschaftlichen und beruflichen Schadens Beweisstücke ihrer Tätigkeit eingereicht – Noten, Kompositionen und vieles mehr. Viele der verfolgten Künstlerinnen und Künstler waren in den 1920er- und 1930er-Jahren bekannte Stars der Weimarer Musik-, Theater-, Opern- und Kinoszene.
Dr. Eva Umlauf, die als Kind u. a. das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau überlebt hatte, berichtete im Gespräch mit Tanit Koch von ihren Erfahrungen mit den Entschädigungsprogrammen der Wiedergutmachung im Rahmen des Bundesentschädigungsgesetzes und im außergesetzlichen Verfahren über die Claims Conference. In einer Podiumsdiskussion mit Staatssekretärin Prof. Dr. Luise Hölscher, dem Präsidenten des Bundesarchivs Dr. Michael Hollmann, der Leiterin des FIZ Karlsruhe Sabine Brünger-Weilandt, dem stellvertretenden Präsidenten des Landesarchivs Baden-Württemberg Dr. Clemens Rehm und der Vorsitzenden der Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder und Präsidentin des Niedersächsischen Landesarchivs Dr. Sabine Graf wurden die Herausforderungen und Möglichkeiten des Themenportals für Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft beleuchtet und hervorgehoben.
Kooperation mit Yad Vashem
Die Bedeutung der Wiedergutmachungsakten insbesondere für zukünftige Generationen von Nachkommen von Überlebenden wird auch von der Internationalen Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem in Jerusalem gesehen und die Entwicklung technisch und inhaltlich unterstützt. Im Rahmen eines gemeinsamen Workshops im November 2022 wurde diese Bedeutung nochmals deutlich hervorgehoben. Die Nachfrage nach Recherchemöglichkeiten durch Überlebende und ihre Nachkommen, aber auch durch die Forschung bei Yad Vashem, wachse jährlich. Vertreter des BMF hatten zu einem sehr frühen Entwicklungsstand des Themenportals den Kontakt zu Yad Vashem beziehungsweise der dortigen sehr erfahrenen Archiv-Abteilung gesucht. Seither ist eine Kooperation entstanden, die immer enger geworden ist. Nach zweijähriger pandemiebedingter Pause konnten im gemeinsamen Workshop u. a. der Normdaten-Einsatz und Möglichkeiten historischer Bildungsarbeit diskutiert werden. Erstmalig waren auch die Kooperationspartner des Themenportals mit dabei. Auch künftig soll dieser stets enge und vertrauensvolle Austausch fortgeführt werden mit dem Ziel, die Ergebnisse technisch immer besser verflechten und vernetzen zu können und damit insgesamt die Recherche zum Holocaust und die anschließenden Versuche von Entschädigung und Wiedergutmachung zu erleichtern.
Yad Vashem
in Jerusalem ist die weltweit bedeutendste Gedenkstätte des Holocaust, die an die nationalsozialistische Judenvernichtung erinnert und sie wissenschaftlich dokumentiert.
Internationale Konferenz in Tel Aviv
Auf einer von Yad Vashem, der Tel Aviv University und der Claims Conference ausgerichteten internationalen Konferenz „70 Years of Holocaust Compensation and Restitution“, die vom 14. bis 16. November 2022 in Tel Aviv stattfand, wurde das Themenportal Wiedergutmachung erstmals der internationalen Fachwelt vorgestellt. In einem halbstündigen Vortrag wurden die Hintergründe der Folge- und Zukunftsaufgaben sowie die Rolle des Themenportals als künftiger digitaler Gesamtzugang zum Aktenerbe der weltweit einzigartigen Wiedergutmachungs- und Entschädigungsakten dargelegt und die Möglichkeiten einer dann erheblich verbesserten Recherche insbesondere für die wissenschaftliche Forschung erläutert. Die anschließende Podiumsdiskussion und die vielen im Umfeld der Konferenz geführten Gespräche zeigten das große Interesse und die positive Grundhaltung für die durch BMF in Aussicht gestellten Perspektiven rund um das Themenportal.
Gedenkveranstaltung 70 Jahre Luxemburger Abkommen im Jüdischen Museum Berlin
Am 15. September 2022 begrüßte Hetty Berg als Hausherrin des Jüdischen Museums in Berlin die Gäste, die Bundesfinanzminister Christian Lindner zu der zentralen Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag des Luxemburger Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Staat Israel und der Claims Conference eingeladen hatte. Neben der durch Präsident Gideon Taylor und dem langjährigen Verhandlungsführer Botschafter Stuart Eizenstat hochkarätig vertretenen Claims Conference war auch der Staat Israel durch die für Holocaust-Angelegenheiten zuständige Ministerin Meirav Cohen bei der Veranstaltung zugegen. Auf deutscher Seite begrüßten Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesfinanzminister Christian Lindner die zahlreichen Gäste unter dem Motto: „Verantwortung weitertragen, weiter Verantwortung tragen“. Neben den Redebeiträgen wurden ein Musikprogramm, interessante Podiumsdiskussionen und eine exzellente historische Einordnung durch den deutsch-israelischen Historiker Prof. Dr. Dan Diner geboten. Die Veranstaltung war auch ein Treffen der Generationen, denn neben den jungen Gewinnern eines von BMF ausgerichteten Essay-Wettbewerbs zur Frage, wie die deutsche Verantwortung in und durch künftige Generationen weitergetragen werden könne, gab es einen bemerkenswerten Auftritt der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer. Mit ihrer bewegenden Botschaft „Was war, können wir nicht mehr ändern. Aber es darf nie wieder geschehen! […] Wir sind alle Menschen. Es gibt kein christliches, muslimisches oder jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut.“ setzte sie einen würdigen Schlusssatz unter die Veranstaltung.