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  • Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage

    Eu­ro­päi­sche Wirt­schafts- und Fi­nanz­po­li­tik

    Rückblick auf die Sitzungen der Eurogruppe am 3. Oktober 2022 und des ECOFIN-Rats am 4. Oktober 2022

    Eurogruppe

    Zunächst tauschten sich die Finanzministerinnen und -minister zur makroökonomischen Situation im Euroraum und zur politischen Reaktion auf die hohen Energiepreise und den Inflationsdruck aus.

    Zu Beginn informierte der Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD) Mathias Cormann die Finanzministerinnen und -minister über die neue Wachstumsprognose der OECD, die eine Schwächung der wirtschaftlichen Entwicklung prognostiziert. Generalsekretär Mathias Cormann betonte, dass die Inflationsbekämpfung die Aufgabe der Geldpolitik sei. Die Fiskalpolitik dürfe die Geldpolitik aber nicht behindern. Finanzpolitische Maßnahmen sollten gezielt sein und Anreize setzen, den Energieverbrauch zu reduzieren. Einkommensunterstützende Maßnahmen seien gegenüber preiseingreifenden Maßnahmen zu bevorzugen.

    Auch die Europäische Zentralbank (EZB) sprach sich für gezielte, temporäre und maßgeschneiderte Maßnahmen aus. Der Europäische Stabilitätsmechanismus betonte, dass die Fiskalpolitik keine vollständige Kompensation der mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine einhergehenden Wohlfahrtsverluste leisten könne.

    Bundesfinanzminister Christian Lindner erläuterte die Beschlüsse der Bundesregierung zur Einrichtung eines wirtschaftlichen Abwehrschirms zur Abfederung der steigenden Energiekosten und der schwersten Folgen des russischen Angriffskriegs für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen. Er verwies auf die besondere Ausgangssituation Deutschlands: Deutschland sei wirtschaftlich stark betroffen. Die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines sei ein weiterer Faktor; Deutschland habe keine Erwartungen bezüglich russischer Gaslieferungen mehr. Dies habe die Bundesregierung dazu bewogen, einen Schutzschirm zu spannen. Es gehe hier um Mittel in Höhe von bis zu 200 Mrd. Euro, die über mehrere Jahre (2022 bis 2024) zur Verfügung stünden. Es sollte möglichst nicht das gesamte Volumen eingesetzt werden. Das Finanzvolumen bewege sich im Verhältnis zur deutschen Wirtschaftsleistung in vergleichbarer Größenordnung wie die Hilfspakete anderer Mitgliedstaaten. Es sei jetzt zentral, auf europäischer Ebene gemeinsame Energielösungen zu suchen. Ein erster Schritt sei durch die Einigung beim Sonderenergierat geschafft. Er stellte klar, dass es keine Änderung der deutschen fiskalpolitischen Ausrichtung gebe, Deutschland werde nächstes Jahr zur Schuldenbremse zurückkehren.

    Die Eurogruppe verabschiedete geschlossen eine Erklärung zur finanzpolitischen Reaktion auf die hohen Energiepreise und den Inflationsdruck. Darin wird darauf verwiesen, dass eine breit angelegte Unterstützung der Gesamtnachfrage durch die Finanzpolitik im Jahr 2023 nicht gerechtfertigt sei und der Schwerpunkt auf dem Schutz der Schwachen liegen solle. Die Tragfähigkeit der Schulden sei zu bewahren und das Wachstumspotenzial nachhaltig zu steigern. Auch wird betont, dass eine schnelle Senkung des Energieverbrauchs der Schlüssel zur Stabilisierung der Energiepreise und zur Verringerung der Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen sei.

    Der zweite Tagesordnungspunkt betraf die Prioritäten des Euroraums in den Aufbau- und Resilienzplänen (ARP) und die Umsetzung der Eurozonenempfehlungen. Die Aufbau- und Resilienzfazilität (Recovery and Resilience Facility, RRF) ist ein einmaliges und zeitlich befristetes Instrument für die EU-27; die Fazilität nimmt auch auf die Empfehlungen des Rats zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets (Eurozonenempfehlungen) Bezug.

    Die Europäische Kommission betonte den bisherigen positiven Verlauf der Umsetzung der RRF. Weiterhin sei eine vollständige und rechtzeitige Umsetzung der Maßnahmen zentral. Rund zwei Drittel der Maßnahmen der nationalen ARP würden die Empfehlungen des Rats zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets betreffen.

    Auch die EZB brachte ihre Unterstützung für die RRF zum Ausdruck, die bei richtiger Implementierung einen positiven Wachstumseffekt habe. Es bestand Einvernehmen, dass eine ambitionierte Umsetzung der RRF einen bedeutenden Beitrag zur Erreichung der Prioritäten des Euroraums leisten könne.

    Unter dem Tagesordnungspunkt „Vorbereitung von internationalen Treffen“ bereitete die Eurogruppe die bevorstehenden Jahrestagungen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor, an deren Rande auch das Treffen der G20-Finanzministerinnen und -minister und der Notenbankgouverneurinnen und -gouverneure stattfindet. Die europäischen Institutionen informierten kurz zu globalen Fragen und Wechselkursen. Der Euro hatte zuletzt gegenüber dem US-Dollar deutlich abgewertet.

    Als letzten Tagesordnungspunkt behandelten die Finanzministerinnen und -minister den digitalen Euro. Der Fokus der Arbeitssitzung lag auf den Geschäftsmodellen öffentlicher und privater Teilnehmer im digitalen Euro-Ökosystem.

    Die Präsidentin der EZB Christine Lagarde präsentierte den aktuellen Stand zu den Arbeiten zum digitalen Euro: Sie informierte darüber, dass der EZB-Rat eine erste Reihe möglicher Ausgestaltungsmerkmale für den digitalen Euro gebilligt habe. Diese betreffen Aspekte wie den möglichen Übertragungsmechanismus, Datenschutz und Maßnahmen zur Begrenzung des Umlaufvolumens eines digitalen Euro. Zudem erläuterte sie, dass der digitale Euro als eigenes Zahlverfahren ausgestaltet werden solle. Dazu solle eine breite Stakeholder-Beteiligung erfolgen.

    Bundesfinanzminister Lindner unterstrich (wie auch eine Reihe weiterer Mitgliedstaaten) die Wichtigkeit der Einbeziehung des Privatsektors. Zudem plädierte er für eine Prüfung, wie der Privatsektor auch bei der Governance des Zahlverfahrens einbezogen werden könne.

    Eine wichtige Schlussfolgerung der Diskussion war, dass der Erfolg des digitalen Euros auch von der richtigen Balance verschiedener Aspekte abhänge, wie z. B. möglichen Funktionalitäten, der grenzüberschreitenden Nutzbarkeit und den Datenschutzregelungen. Besonders betont wurde die Wichtigkeit einer weiten Einsetzbarkeit und dass der digitale Euro einen Mehrwert für die Nutzerinnen und Nutzer haben müsse (diesen gelte es klar herauszustellen).

    ECOFIN-Rat

    Zur Änderungsverordnung zu den REPowerEU-Kapiteln in den ARP konnte eine allgemeine Ausrichtung erzielt werden. Der Kompromissvorschlag der tschechischen Ratspräsidentschaft wurde mit einer qualifizierten Mehrheit angenommen, nur die Slowakei enthielt sich.

    Bei REPowerEU geht es um den europäischen Plan zur schrittweisen Verringerung der Abhängigkeit der Europäischen Union (EU) von russischen Einfuhren fossiler Brennstoffe, der darauf abzielt, die strategische Autonomie der EU durch eine Diversifizierung der Energieversorgung zu stärken und die Unabhängigkeit und Sicherheit der Energieversorgung der EU zu erhöhen.

    Konkret werden die Mitgliedstaaten ein neues REPowerEU-Kapitel mit entsprechenden Reformen und Investitionen in ihre ARP aufnehmen.

    Der Kompromiss der tschechischen Ratspräsidentschaft umfasst eine Finanzierung der REPowerEU-Zuschüsse in Höhe von 20 Mrd. Euro, die zu 75 Prozent aus Zertifikaten des Innovationsfonds und zu 25 Prozent aus nationalen Zertifikaten durch Frontloading im Europäischen Emissionshandel erfolgt. Außerdem wurde der Verteilschlüssel angepasst, indem nicht nur die Ziele der RRF, sondern auch von REPowerEU berücksichtigt werden. Auf Deutschland entfallen 10,45 Prozent der 20 Mrd. Euro Zuschüsse. Die Europäische Kommission informierte die Mitgliedstaaten, dass das Europäische Parlament sich bis Ende Oktober positionieren wolle. Der Trilog solle Anfang November beginnen.

    Unter dem Tagesordnungspunkt „wirtschaftliche Erholung“ wurde der Durchführungsbeschluss des Rats zur Billigung des niederländischen ARP angenommen. Zu Beginn verwies der Exekutiv-Vizepräsident der Europäischen Kommission Valdis Dombrovskis auf die positive Bewertung des niederländischen ARP. Anschließend legte die Europäische Kommission den momentanen Umsetzungsstand dar: Es seien 16 Auszahlungsanträge eingereicht worden und bereits acht Auszahlungen erfolgt. 26 Pläne seien gebilligt worden. Kommissar Paolo Gentiloni führte aus, dass die Kommission den ungarischen Plan weiter prüfe. Bezüglich der Überarbeitung der bestehenden Pläne warb die Kommission für einen engen bilateralen Austausch.

    Die Niederlande präsentierten die Eckpunkte ihres ARP: Er beinhalte insgesamt 49 Maßnahmen, davon 21 Reformen und 28 Investitionsprojekte, mit 127 Etappenzielen und Zielwerten. Die Niederlande betonten, dass der Plan den grünen und den digitalen Wandel beschleunige. Der Plan trage bereits zu den Zielen von REPowerEU bei, z. B. über Investitionen in Offshore-Windparks, grünen Wasserstoff oder energieeffizienten Wohnbau.

    Unter dem Tagesordnungspunkt „wirtschaftliche und finanzielle Folgen des Krieges in der Ukraine“ informierte der Exekutivvizepräsident der Europäischen Kommission Valdis Dombrovskis zunächst über die negativen Auswirkungen der Sanktionen auf Russland. Er betonte, dass die Ukraine auch künftig auf die finanzielle Unterstützung der EU angewiesen sei, da sich ihre wirtschaftliche und finanzielle Lage infolge der russischen Aggression deutlich verschlechtert habe. Koordinierte Maßnahmen auf EU-Ebene seien wichtig. Kommissar Paolo Gentiloni hob hervor, dass noch 3 Mrd. Euro an außerordentlicher Makrofinanzhilfe ausstehen. In den kommenden Monaten sei es vor allem relevant, dass die EU weiterhin geschlossen hinter den Sanktionen stehe. Kommissarin Mairead McGuinness berichtete, dass sich die Sanktionen bisher noch nicht negativ auf die Finanzstabilität in der EU ausgewirkt hätten. Von zentraler Bedeutung seien aktuell vor allem Liquiditätsthemen.

    Ein weiterer wichtiger Tagesordnungspunkt war „Hohe Energiepreise und Finanzmärkte“. Hierbei ging es um die Auswirkungen der hohen Energiepreise auf die Finanzmärkte und mögliche flankierende Maßnahmen im Finanzbereich, mit denen Liquiditätsengpässe von Energieunternehmen bei der Bereitstellung von Sicherheiten im Energieterminhandel vermieden werden sollen.

    Der Exekutiv-Vizepräsident der Europäischen Kommission Valdis Dombrovskis und Kommissarin Mairead McGuinness erläuterten, dass der Marktstress durch die geopolitische Lage (Gasverknappung) verursacht werde. Die hohen und volatilen Strompreise führten zu hohen Nachschussforderungen bei der Besicherung ausstehender Forderungen im Börsenterminhandel (sogenannte Margin Calls) und Energieunternehmen seien mit Liquiditätsengpässen bei der Erfüllung der Margin Calls konfrontiert. Bis Mitte Oktober werde die Europäische Kommission eine Verlängerung und Änderung der befristeten staatlichen Beihilfen und des befristeten Krisenrahmens vorschlagen, um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten den Energieunternehmen weiterhin die notwendige Unterstützung gewähren können. Die Kommission stellte geplante „flankierende“ Finanzmarktmaßnahmen vor:

    • Ausweitung des Kreises an zulässigen Sicherheiten für die Geschäftsabwicklung über zentrale Clearingstellen im Börsenterminhandel;
    • Nutzung kurzer Handelsaussetzungen (sogenannte Circuit Breaker) und anderer Maßnahmen zur Verringerung starker kurzfristiger Preisbewegungen;
    • Erleichterung der Schaffung einer ergänzenden transaktionsbasierten Preisbenchmark zur genaueren Preismessung von LNG-Importen und
    • Erhöhung des Schwellenwerts, ab dem Energieunternehmen zur Besicherung nicht über zentrale Clearingstellen abgewickelter Energiederivategeschäfte verpflichtet sind.

    Auch die EZB betonte, dass die Übertragung von Risiken des Energiemarkts auf den Finanzmarkt vermieden werden müsse und sämtliche Maßnahmen sorgfältig geprüft werden müssten.

    Die Mitgliedstaaten äußerten starke Bedenken hinsichtlich der negativen Auswirkungen der hohen Energiepreise auf die Realwirtschaft. Die wortnehmenden Mitgliedstaaten stimmten mit der Bewertung der Europäischen Kommission überein und begrüßten die vorgestellten Finanzmarktmaßnahmen, vor allem die Schaffung eines LNG-Benchmarks, die Erleichterung von Staatshilfen für Energieunternehmen und die Ausweitung des Kreises an zulässigen Sicherheiten für die Geschäftsabwicklung über zentrale Clearingstellen. Ein Risikotransfer vom Energie- auf Finanzmarkt sei gefährlich und Risiken für die Finanzstabilität müssten vermieden werden.

    Einige Mitgliedstaaten zeigten sich zudem offen für die Reduzierung starker kurzfristiger Preisausschläge durch kurze Handelsunterbrechungen. Weitere Mitgliedstaaten forderten Maßnahmen, um Marktspekulationen einzuschränken.

    Die wortnehmenden Mitgliedstaaten stimmten darin überein, dass Änderungen des Regulierungsrahmens sorgfältig geprüft werden müssten und nicht zu einer Absenkung der regulatorischen Anforderungen führen dürften. Eine Verlagerung von Risiken vom Energiemarkt auf das Finanzsystem müsse nach den Erfahrungen in der globalen Finanzkrise vermieden werden. Über die Finanzmarktregulierung könne nicht das zugrunde liegende Problem der Angebotsknappheit auf den Energiemärkten gelöst werden.

    Anschließend billigte der ECOFIN-Rat das EU-Mandat für die Vorbereitung des Treffens der Finanzministerinnen und -minister und Notenbankgouverneurinnen und -gouverneure der G20 am 12. Und 13. Oktober 2022 und die Erklärung der EU-Ratspräsidentschaft für den Internationalen Währungs- und Finanzausschuss bei der Jahrestagung des IWF. Neben einem Hinweis auf ein koordiniertes Vorgehen gegenüber Russland hob die tschechische Präsidentschaft das gemeinsame Treffen der Finanz- und Agrarministerinnen und -minister im Bereich Ernährungssicherheit hervor.

    Darüber hinaus wurden die Schlussfolgerungen zur Klimafinanzierung im Hinblick auf „Conference of Parties“ der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen in Sharm El-Sheikh vom 6. bis 18. November 2022 gebilligt. Die tschechische Präsidentschaft betonte, dass die EU-Mitgliedstaaten die größten Geber im Bereich der internationalen Klimafinanzierung seien. Die Ratsschlussfolgerungen bestätigen trotz der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Lage die Verpflichtung auf die Klimaziele von Paris.

    Auch nutzten die Finanzministerinnen und -minister die Gelegenheit zu einem breiten Austausch zur fiskalischen und nichtfiskalischen Rolle des Zolls in der EU. Einleitend verwies die tschechische Präsidentschaft auf die stark veränderten Gegebenheiten für die EU-Zollunion. Kommissar Paolo Gentiloni führte aus, dass der Zoll durch den Brexit und durch die Umsetzung von Sanktionen gegen Russland und Belarus an Bedeutung gewonnen habe. Der Austausch zu den Leitfragen werde der Kommission helfen, die richtige Balance im für den 7. Dezember 2022 angekündigten Legislativpaket für eine Reform der EU-Zollunion zu finden. Eine Gruppe von Mitgliedstaaten hielt die frühzeitige Einbindung der Zollbehörden in die EU-Gesetzgebung für dringend geboten und bat die Europäische Kommission, ein ambitioniertes Legislativpaket vorzulegen. Der deutsche Sitzungsvertreter forderte Änderungen, die den legalen Handel vereinfachen sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen und die Zollbehörden in die Lage versetzen, Krisen schnell und effektiv anzugehen. Wenige Mitgliedstaaten betonten, dass die Zollunion sehr gut funktioniere und man keinen Änderungsbedarf sehe.

    Während eine Gruppe von Mitgliedstaaten grundsätzlich die Einrichtung einer Zollagentur unterstützten, äußerte sich eine andere Gruppe von Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, zurückhaltend bis ablehnend gegenüber einer Zollagentur. Ein Kreis von Mitgliedstaaten lobte das Customs Eastern and South-Eastern Land Border Expert Team (CELBET), ein von elf Mitgliedstaaten getragenes Projekt zur Verbesserung der operativen Zusammenarbeit an der östlichen und südöstlichen EU-Landgrenze, als gutes Vorbild für eine Zollagentur.

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