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  • Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage

    Eu­ro­päi­sche Wirt­schafts- und Fi­nanz­po­li­tik

    Rückblick auf die Sitzung der Eurogruppe und die informelle Sitzung des ECOFIN-Rats am 9. und 10. September 2022 in Prag

    Eurogruppe

    Am 9. September 2022 führte die Eurogruppe eine Diskussion zu den aktuellen makroökonomischen Entwicklungen im Euroraum. Der Schwerpunkt des Austauschs lag auf der Wirtschaftslage und der angebrachten finanzpolitischen und geldpolitischen Reaktion: Die Europäische Kommission führte u. a. aus, dass eine breite fiskalische Unterstützung nicht angemessen sei und sprach sich für gezielte Maßnahmen zum Schutz vulnerabler Gruppen aus. Dabei dürfe die fiskalische Tragfähigkeit nicht vernachlässigt werden. So warnte sie, dass den inflationsbedingt steigenden Steuereinnahmen des Staats im Zeitablauf zunehmend inflationsbedingt steigende Mehrausgaben, etwa im Bereich der Personalkosten, gegenüberstehen dürften. Auch unterstrich sie die Bedeutung des erwarteten Energiemaßnahmenpakets. Die Europäische Zentralbank (EZB) berichtete über die geldpolitischen Entscheidungen des EZB-Rats vom 8. September 2022. Der EZB-Rat habe einstimmig beschlossen, alle drei Leitzinsen um 75 Basispunkte anzuheben, und setze damit die Bekämpfung der Inflation entschlossen fort. Die Wirtschaft benötige keinen weiteren Stimulus. Entscheidend seien gezielte Maßnahmen für vulnerable Gruppen durch Einkommenstransfers. Geld- und Fiskalpolitik müssten Hand in Hand arbeiten. Auch Irene Tinagli, die Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments, ging primär auf die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen ein.

    Bundesfinanzminister Christian Lindner nahm auf die herausfordernde Situation, auch in Deutschland, Bezug. Mit Blick auf die begrenzten Möglichkeiten des Staats gelte es, trotz hoher Erwartungen und gesellschaftlichen Drucks einen permanenten Anstieg der fiskalischen Ausgaben zu vermeiden. Vielmehr sei auf gezielte Maßnahmen zum Schutz vor sozialen Härten zu setzen. Die Ursachen der aktuellen Probleme müssten adressiert werden. Die Koordinierung von Fragen, die den Energiemarkt beträfen, seien auf europäischer Ebene vorrangig bei den Energieministerinnen und -ministern angesiedelt. Mit Blick auf das dritte Entlastungspaket erläuterte er, dass die Abschöpfung von „Zufallsgewinnen“ in Deutschland jedenfalls nicht steuerlich ausgestaltet werden soll. Auch informierte er über die Entwicklungen auf Ebene der G7 und warb bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) für die jüngste G7-Initiative: Am 2. September 2022 hatten die G7-Finanzministerinnen und -minister eine gemeinsame Erklärung abgegeben und die Ausweitung des EU-Dienstleistungsverbots im Zusammenhang mit der Ausfuhr von russischem Erdöl und Erdölprodukten in Drittstaaten auf die G7-Länder bei gleichzeitiger Einführung einer Preisobergrenze angekündigt.

    Der Austausch der Ministerinnen und Minister spiegelte das außergewöhnliche makroökonomische Umfeld und die schwierigen Rahmenbedingungen wider. Vor dem Hintergrund eines hohen Inflationsdrucks, einer schwierigen Situation an den Energiemärkten und einem steigenden Zinsumfeld stiegen die Abwärtsrisiken. Die gesamtwirtschaftlichen Prognosen trübten sich weiter ein.

    Die Ministerinnen und Minister waren sich der zunehmenden Besorgnis bewusst, die viele Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen angesichts steigender Energiepreise haben. Auch wurde angemerkt, dass die Sorge vor sozialen Spannungen und Verwerfungen wachse. Es herrschte weitgehendes Einvernehmen, dass eine breite fiskalische Unterstützung zur Wachstumsförderung nicht angezeigt sei. Unterstützungsleistungen sollten grundsätzlich temporär und zielgerichtet sein und insbesondere vulnerable Gruppen unterstützen. Ein weiterer Gegenstand des Austauschs war die nachhaltige Bekämpfung der Inflation. Hier sei die Geldpolitik in der Verantwortung, aber auch die Fiskalpolitik müsse einen Beitrag leisten, um den Inflationsdruck nicht noch weiter zu verstärken.

    Die Ministerinnen und Minister unterstrichen besonders die Bedeutung der Koordinierung eines wirksamen und kohärenten Vorgehens hinsichtlich der fiskalischen Unterstützung auf europäischer Ebene beim Umgang mit den ökonomischen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukrainekriegs. Ein schädlicher Wettbewerb innerhalb Europas durch staatliche Unterstützung, insbesondere im Energiesektor, müsse verhindert werden. Auch gelte es, die russische Desinformation im Kontext des Ukrainekriegs durch faktenbasierte Kommunikation richtigzustellen. Die Ministerinnen und Minister brachten ihr Vertrauen in die Stärke und Widerstandsfähigkeit der EU zum Ausdruck.

    In der Eurogruppe im inklusiven Format am 9. September 2022 wurde das Thema „Digitale Währungen der Zentralbanken“, einschließlich aktueller Informationen über das Projekt des digitalen Euros behandelt. Die Europäische Kommission und die EZB informierten die Mitgliedstaaten zunächst über den Stand der Arbeiten zum digitalen Euro. Die EZB kündigte an, dass sie im Herbst 2023 eine Entscheidung über die Implementierung des digitalen Euros treffen wolle. Aktuell arbeiteten 81 Zentralbanken an eigenen Lösungen für eine digitale Währung. China sei am weitesten fortgeschritten. Aber auch der Euroraum sei schon weit vorangekommen. Ferner präsentierte Schweden seinen eigenen Ansatz zu digitalem Zentralbankgeld („e-Krona“) und erläuterte, dass man sich in einer Testphase zur Risikenidentifizierung befinde.

    Informeller ECOFIN-Rat

    Im Rahmen des informellen ECOFIN am 9. und 10. September 2022 diskutierten die Ministerinnen und Minister zunächst unter sich bei einem Arbeitsmittagessen über die Finanzhilfen für die Ukraine. Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds besteht nach wie vor ein ungedeckter Finanzierungsbedarf in der Ukraine für 2022. Als EU-Beitrag zur Deckung eines Teils des Bedarfs hatte sich der Europäische Rat bei seiner Sondertagung am 30./31. Mai bereit erklärt, der Ukraine im Jahr 2022 eine neue außerordentliche Makrofinanzhilfe von bis zu 9 Mrd. Euro zu gewähren. Anfang August war in einem ersten Schritt ein Makrofinanzhilfedarlehen in Höhe von 1 Mrd. Euro an die Ukraine ausgezahlt worden.

    Um den dringenden Liquiditätsbedarf der Ukraine zu decken, haben sich die 27 Ministerinnen und Minister am Rande der informellen Tagung des ECOFIN-Rats einvernehmlich auf eine gemeinsame Erklärung über die finanzielle Unterstützung der Ukraine verständigt. Die Ministerinnen und Minister haben zum einen ihre Unterstützung für ein weiteres Makrofinanzhilfedarlehen in Höhe von 5 Mrd. Euro und zum anderen ihre prinzipielle Bereitschaft erklärt, hierfür nationale Garantien auf Basis des jeweiligen EU-BNE-Anteils bereitzustellen.

    In der Aussprache wurde erneut deutlich, dass die Notwendigkeit der umfänglichen Unterstützung weiterhin von größter Wichtigkeit ist und dass die EU geschlossen hinter der Ukraine steht. Eine vertiefte Diskussion des ukrainischen Wiederaufbauplans und der europäischen Beteiligung erfolgte nicht. Einige Ministerinnen und Minister merkten diesbezüglich jedoch an, dass in einem ersten Schritt eine Verständigung zur Governance des langfristigen Wiederaufbaus wie auch die Einbindung der internationalen Partner prioritär sei. Ein kohärenter strategischer Ansatz sei zentral.

    Die erste Arbeitssitzung beim informellen ECOFIN zu den wirtschaftlichen und ökonomischen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, an welcher auch die Zentralbanken teilnahmen, deckte sich inhaltlich weitgehend mit der Diskussion in der Eurogruppe. Die zentrale Botschaft des Austauschs war, dass den negativen Auswirkungen des Ukrainekriegs in Europa entschieden und koordiniert entgegenzutreten sei. Ergänzend wurde angesprochen, dass es zentral sei, Rückkopplungen auf die Finanzstabilität zu vermeiden. Kommissarin Mairead McGuinness betonte in diesem Kontext, dass sich das Finanzsystem bisher als stabil erwiesen habe, es aber weiter gestärkt werden müsse.

    Am 10. September 2022 befassten sich die Ministerinnen und Minister in der zweiten Arbeitssitzung mit dem Thema solider Staatsfinanzen und hier insbesondere mit der Reform der EU-Fiskalregeln. Als Gastredner trug der Vorsitzende des tschechischen Fiskalrats Mojmír Hampl vor, der für eine Vereinfachung der EU-Fiskalregeln plädierte. Zentral sei ferner die Einhaltung der Regeln. Er zog die Schlussfolgerung, dass weder neue Institutionen noch neue Regeln ein Substitut für den politischen Willen seien, die fiskalische Tragfähigkeit auf nationaler und europäischer Ebene zu erhalten.

    Die Europäische Kommission skizzierte die Eckpunkte ihrer Überlegungen und kündigte an, dass die Veröffentlichung der Kommissionsmitteilung zur Reform der EU-Fiskalregeln für Ende Oktober angedacht sei. Der Europäischen Kommission schweben insbesondere individuell ausgehandelte fiskalische Anpassungspfade nach dem Vorbild der Aufbau- und Resilienzfazilität vor, eine Stärkung der mittelfristigen Ausrichtung und ein Fokus auf die Ausgabenregel sowie mehr nationale Eigenverantwortung gekoppelt mit stärkeren Sanktionen bei Verstößen.

    Es fand eine umfassende Aussprache statt. Es herrschte weitgehend Einvernehmen bei den übergreifenden Zielen einer Reform der EU-Fiskalregeln: Die Ministerinnen und Minister betonten die Bedeutung der Wahrung der Schuldentragfähigkeit. Das Regelwerk des Stabilitäts- und Wachstumspakts müsse transparenter und vereinfacht werden. Die aktuellen Regeln würden einen zu hohen Komplexitätsgrad aufweisen. Auch waren sich die Ministerinnen und Minister einig, dass die EU-Fiskalregeln glaubhaft umgesetzt werden müssten.

    Bundesfinanzminister Christian Lindner schlussfolgerte, dass die guten Zeiten der vergangenen Jahre nicht überall genutzt worden seien, um die Schulden ausreichend zurückzuführen. Er sprach sich für eine Stärkung des multilateralen Ansatzes aus und die Gewährleistung der Gleichbehandlung aller Mitgliedstaaten. Auch setzte er sich für klare und transparente Regeln ein. Die Bundesregierung sei offen für eine Weiterentwicklung der EU-Fiskalregeln. Deutschland habe ein Prinzipienpapier mit Reformvorschlägen zu den EU-Fiskalregeln präsentiert. Entlang der Positionen des Prinzipienpapiers betonte er die Notwendigkeit der Schuldentragfähigkeit und eines stabilitätssichernden und wachstumsfreundlichen Schuldenabbaupfads; dies könne durch die vollständige Einhaltung des präventiven Arms des Stabilitäts- und Wachstumspakts erreicht werden. Eine begrenzte Ausweitung der Flexibilitätsklausel für Investitionen sei denkbar wie auch ein stärkerer Fokus auf die Ausgaberegel bei Beibehaltung des strukturellen Saldos als mittelfristiges Haushaltsziel.

    Ein differenzierteres Meinungsbild zeigte sich hinsichtlich des multilateralen Charakters der fiskalischen Überwachung. Einige Mitgliedstaaten unterstützen die Pläne der Europäischen Kommission, individuelle Anpassungspfade zu verhandeln. Neben Deutschland betonten auch andere Mitgliedstaaten die Notwendigkeit der Gewährleistung der Gleichbehandlung. Eine Gruppe von Mitgliedstaaten betonte ferner, dass unrealistische Anpassungspfade zu vermeiden seien.

    Eine andere Gruppe von Mitgliedstaaten sprach sich für mehr Flexibilität aus, um bestimmte Investitionsbedarfe gezielt zu berücksichtigen. Neben grüner und digitaler Transformation wurde auch Verteidigung erwähnt. Andere Mitgliedstaaten lehnten die Einführung einer Goldenen Regel ab. Auch forderten einige Mitgliedstaaten, dass sich das künftige Regelwerk – zulasten der Verwendung des strukturellen Saldos – ausschließlich auf beobachtbare Variablen stützen sollte.

    In ihrer letzten Arbeitssitzung tauschten sich die Ministerinnen und Minister über die europäische Steuerpolitik aus. Einführend trugen zunächst James Watson von BusinessEurope und Piergiorgio Valente von CFE Tax Advisers Europe vor.

    Eine Gruppe von Mitgliedstaaten wie auch die Europäische Kommission nutzten die Aussprache, sich zu den Verhandlungen zur Richtlinie zur globalen effektiven Mindestbesteuerung zu äußern und auf ein entschlossenes gemeinsames Vorgehen zu drängen. Der Richtlinienentwurf zur globalen effektiven Mindestbesteuerung wurde auf Arbeitsebene unter französischer Ratspräsidentschaft abschließend behandelt. Eine Einigung beim ECOFIN-Rat im Juni war aufgrund des Vorbehalts Ungarns nicht erfolgt.

    Vor diesem Hintergrund veröffentlichten die Finanzministerinnen und -minister Frankreichs, Spaniens, Italiens, der Niederlande und Deutschlands am Rande des informellen ECOFIN eine gemeinsame Erklärung zur globalen effektiven Mindestbesteuerung. Darin bekräftigten sie ihren verstärkten Einsatz für eine schnelle Umsetzung der globalen effektiven Mindestbesteuerung und erklärten, dass die Umsetzung auch bei Ausbleiben einer Einigung auf EU-Ebene im Jahr 2023 erfolgen werde, sofern notwendig mit allen möglichen rechtlichen Mitteln. Die Bundesregierung hat mit den Umsetzungsarbeiten auf nationaler Ebene bereits begonnen, um dem ambitionierten Zeitplan einer Umsetzung im Jahr 2023 gerecht zu werden.

    Mit Blick auf die künftige Harmonisierung im Bereich der direkten Steuern waren die wenigen diesbezüglich wortnehmenden Ministerinnen und Minister überwiegend der Auffassung, dass die Nutzung von Richtlinien prioritär sei. In Elementen des „Soft Law“ wurde allenfalls eine ergänzende Funktion gesehen.

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