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  • Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage

    Eu­ro­päi­sche Wirt­schafts- und Fi­nanz­po­li­tik

    Rückblick auf die Sitzungen der Eurogruppe am 23. Mai 2022 und des ECOFIN-Rats am 24. Mai 2022

    Eurogruppe

    Auf der Tagesordnung der Eurogruppe am 23. Mai 2022 standen makroökonomische und fiskalische Entwicklungen im Euroraum (einschließlich Frühjahrsprognose der Europäischen Kommission) sowie eine Aussprache zur Besetzung der Position des Geschäftsführenden Direktors des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). In der Eurogruppe im inklusiven Format gab es eine erneute Aussprache zur Bankenunion.

    Die Eurogruppe am 23. Mai 2022 beschäftigte sich vertieft mit den makroökonomischen und fiskalischen Entwicklungen im Euroraum, den wirtschaftlichen Auswirkungen der russischen Aggression in der Ukraine und den damit einhergehenden Herausforderungen.

    Die Europäische Kommission informierte zunächst über die kürzlich veröffentliche Frühjahrsprognose und das am Tag der Eurogruppe veröffentlichte Frühjahrspaket des Europäischen Semesters 2022: Für den Euroraum erwartet die Europäische Kommission ein Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2,7 Prozent, gefolgt von 2,3 Prozent im kommenden Jahr. Für 2022 ergebe sich dadurch eine Abwärtsrevision um 1,3 Prozentpunkte gegenüber der Winterprognose aus dem Februar, für 2023 um circa einen halben Prozentpunkt. Die Europäische Kommission verwies zugleich darauf, dass die Aufbau- und Resilienzfazilität (Recovery and Resilience Facility, RRF) sich positiv auf die Investitionen auswirke und sich die Lage am Arbeitsmarkt verbessere. Die Inflationsrate sei allerdings weiterhin deutlich erhöht. Die Europäische Kommission prognostizierte für den Euroraum und das Jahr 2022 eine Inflationsrate von 6,1 Prozent (2023: 2,7 Prozent). Die Risiken für die Inflationsentwicklung seien in der aktuellen geopolitischen Lage weiter aufwärtsgerichtet. Insgesamt sei die Situation von hoher Unsicherheit gekennzeichnet.

    Vor diesem Hintergrund und den verschlechterten wirtschaftlichen Aussichten werde die allgemeine Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts für das Jahr 2023 aufrechterhalten. Von der Einleitung neuer Defizitverfahren werde abgesehen.

    Einleitend berichtete Bundesfinanzminister Christian Lindner seinen Kolleginnen und Kollegen, dass das Inflationsgeschehen neben der Ukraine das zentrale Thema beim Treffen der G7-Finanzministerinnen und -Finanzminister in der Vorwoche gewesen sei. Die Inflation sei ein ernstzunehmendes Risiko für die weitere wirtschaftliche Entwicklung; ihre Bekämpfung müsse entschlossen angegangen werden. Dabei spiele auch die Finanzpolitik eine wichtige Rolle. Der Bundesfinanzminister hinterfragte mit Blick auf die aktuelle Datenlage die Entscheidung der Europäischen Kommission, die allgemeine Ausweichklausel aktiviert zu halten. Er warb dafür, die mit der weiteren Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel einhergehenden fiskalischen Spielräume nicht auszunutzen, und bekräftigte, dass Deutschland zur Schuldenbremse zurückkehren werde. Er betonte generell die Bedeutung solider Staatsfinanzen und einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik.

    Die Diskussion der Ministerinnen und Minister verdeutlichte, wie komplex die aktuelle Situation vor dem Hintergrund der zunehmenden Unsicherheiten ist. Einige Mitgliedsstaaten begrüßten die Pläne der Europäischen Kommission, die allgemeine Ausweichklausel nicht zu deaktivieren, ausdrücklich. Andere Mitgliedstaaten unterstrichen – auch mit Bezug auf den Tenor des Bundesfinanzministers – zum Teil deutlich die Bedeutung der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen.

    Die Ministerinnen und Minister zeigten sich besorgt über das Inflationsgeschehen, insbesondere angesichts der hohen Energiepreise. Viele Ministerinnen und Minister verwiesen auf die nationalen Maßnahmen zur Abfederung der hohen Energiekosten. Energiepolitische Unabhängigkeit sei zentral. Mit Blick auf die Ausrichtung der Finanzpolitik herrschte weitgehende Einigkeit darüber, dass es anzustreben sei, die Haushaltspolitiken in diesem unsicheren Umfeld so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Hierzu ist eine vertiefte Diskussion in den kommenden Monaten zu erwarten. Der Präsident der Eurogruppe Paschal Donohoe plant, bei der Juli-Eurogruppen-Sitzung eine Erklärung über den haushaltspolitischen Kurs für das nächste Jahr zu verabschieden.

    Die Ministerinnen und Minister tauschten sich auch zur Besetzung der Position des Geschäftsführenden Direktors des ESM in der anstehenden Nachfolge von Klaus Regling aus. Die verbindliche Wahl des neuen Geschäftsführenden Direktors wird durch den Gouverneursrat des ESM voraussichtlich auf seiner Jahrestagung am 16. Juni 2022 mit qualifizierter Mehrheit erfolgen.

    Unter „Verschiedenes“ beschäftigte sich die Eurogruppe mit den gesamtstaatlichen Haushaltsplanentwürfen Deutschlands und Portugals und nahm ein Statement hierzu an. Deutschland und Portugal begrüßten die positive Einschätzung der Europäischen Kommission. Bundesfinanzminister Lindner erläuterte, dass der Haushalt die aktuellen Krisensituationen – COVID-19-Pandemie und Ukrainekrieg – widerspiegele. Deutschland nutze eine agile Haushaltspolitik, die gezielte vorübergehende Maßnahmen einsetze, um die Auswirkungen der Krisen abzumildern. Es gehe um die richtige Balance, gerade auch mit Blick auf Inflationsrisiken. Der Haushaltsplanentwurf 2022 ziele zugleich darauf ab, die fiskalische Resilienz zu erhöhen und fiskalische Spielräume zu stärken. Es werde erwartet, dass die Schuldenstandsquote von 69,3 Prozent des BIP im Jahr 2021 auf 66 ¾ Prozent des BIP im Jahr 2022 falle.

    Bei der Eurogruppe im inklusiven Format am 23. Mai 2022 tauschten sich die Ministerinnen und Minister erneut vor dem Hintergrund des Arbeitsauftrags vom Euro-Gipfel im Dezember 2021 zur Weiterentwicklung der Bankenunion aus. Der Euro-Gipfel hatte den bestehenden Auftrag an die Eurogruppe im inklusiven Format bekräftigt, einen Arbeitsplan für alle noch ausstehenden Elemente auszuarbeiten, der den Weg zur Vollendung der Bankenunion weist.

    Der Eurogruppen-Präsident Donohoe hatte vor der Eurogruppe einen überarbeiteten, detaillierten vorläufigen Vorschlag für einen Arbeitsplan zu den diskutierten Elementen vorgelegt. Er umfasst die Einführung eines gemeinsamen Rückversicherungsschutzes von Einlegern, die Förderung der Diversifizierung von Staatsanleiherisiken von Banken, die Verbesserung des Umgangs mit Banken in der Krise und die Schaffung eines stärker integrierten Markts für Bankdienstleistungen.

    Die Ministerinnen und Minister nutzten die Gelegenheit für eine erneute vertiefte Aussprache und bedankten sich beim Eurogruppen-Präsidenten für das Fortführen der Arbeiten. Es hat sich erneut gezeigt, dass noch weiterer Diskussionsbedarf besteht, da zum Teil noch deutliche Vorbehalte zu allen vier Workstreams bestanden und viele Mitgliedstaaten auf die noch fehlende Balance bei den vier Elementen hingewiesen haben.

    Die Bundesregierung machte erneut deutlich, dass für eine Verbesserung der Ausgewogenheit im Arbeitsplanentwurf weitere Arbeit erforderlich sei. Insbesondere die Funktionsfähigkeit von Institutionssicherungssystemen müsse erhalten werden und es müsse Fortschritte beim Thema Staatsanleiherisiken geben.

    Der Eurogruppen-Präsident Donohoe erklärte, dass er noch nicht mit einer Einigung gerechnet habe und weitere Verhandlungen im Juni vorbereiten werde.

    ECOFIN-Rat

    Auf der Tagesordnung des Treffens der ECOFIN-Ministerinnen und -Minister am 24. Mai 2022 standen u. a. wirtschaftliche und finanzielle Folgen der Ukraine-Krise, wirtschaftliche Erholung, Nachbereitung der Treffen der G20-Finanzministerinnen und -Finanzminister und -Notenbankgouverneurinnen und -Notenbankgouverneure und die Gruppe der Weisen über die Zollunion.

    Unter dem Tagesordnungspunkt „Wirtschaftliche und finanzielle Folgen der russischen Aggression gegen die Ukraine“ widmeten sich die ECOFIN-Ministerinnen und -Minister schwerpunktmäßig der kurz- und langfristigen finanziellen Unterstützung der Ukraine sowie den Sanktionen.

    Der Leiter der Europa-Abteilung des Internationalen Währungsfonds (IWF) Alfred Kammer analysierte kurz die Situation: Zur Abfederung der Auswirkungen des Kriegs und zur Vorbereitung des Wiederaufbaus bestehe in der Ukraine ein Finanzierungsbedarf von monatlich 5 Mrd. Euro für die nächsten drei Monate. In der Phase des Wiederaufbaus sei eine Koordinierung der Geberländer sehr wichtig.

    Die Europäische Kommission erläuterte ihre wesentlichen Überlegungen zur kurz- und langfristigen finanziellen Unterstützung der Ukraine sowie den Stand der Umsetzung der Sanktionen. Für die vorgeschlagene Makrofinanzhilfe zur kurzfristigen Liquiditätssicherung über 9 Mrd. Euro an Darlehen bedürfe es nationaler Garantien. Aus Sicht der Europäischen Kommission könnte die erste Auszahlung noch vor dem Sommer erfolgen. Darüber hinaus solle es eine Zuschusskomponente für Zinszahlungen geben.

    Bundesfinanzminister Christian Lindner bekräftigte, dass Russland den Krieg nicht gewinnen dürfe und dass die Europäische Union (EU) der Ukraine zur Seite stehe. Der Wiederaufbau sei in unserem Interesse und in unserer Verantwortung als Nachbar der Ukraine und enger EU-Partner. Eine enge internationale Zusammenarbeit mit der G7, den USA, der Weltbank und dem IWF sei wichtig; die EU habe aber im Vergleich zu den USA besondere Lasten zu tragen, insbesondere durch die Aufnahme der Flüchtlinge und die Reduzierung der Energieabhängigkeit von Russland. Es bedürfe einer Ausweitung der Sanktionen gegenüber Russland.

    Bundesfinanzminister Lindner führte auch zu den Ergebnissen des G7-Treffens vom 19. und 20. Mai 2022 aus. Die bislang im Jahr 2022 mobilisierte kurzfristige Budgethilfe von 19,8 Mrd. Euro müsse durch Zuschüsse und Darlehen anderer Einrichtungen weiter ergänzt werden. Deutschland stelle einen Zuschuss in Höhe von 1 Mrd. Euro zur Verfügung und habe in der Vergangenheit 500 Mio. Euro an Darlehen an die Ukraine gegeben. Er betonte, dass aus Sicht der Ukraine insbesondere die Erhaltung der Zahlungsfähigkeit sowie die Aufrechterhaltung der zentralen Staatsaufgaben im Vordergrund stehe, wofür vordringlich Zuschüsse benötigt würden.

    Mit Blick auf den Kommissionsvorschlag einer außergewöhnlichen Makrofinanzhilfe über 9 Mrd. Euro an Darlehen hob er hervor, dass die Ukraine Zuschüsse bevorzuge. Er warnte vor einer gemeinschaftlichen Schuldenaufnahme jedenfalls für nicht rückzahlbare Zuschüsse.

    Bei der Beschlagnahmung eingefrorenen russischen Vermögens handele es sich um eine mittelfristig zu führende Diskussion. Zunächst müsse der Ukraine geholfen werden, den Krieg zu gewinnen und die kurzfristige Zahlungsfähigkeit sicherzustellen.

    In der Aussprache gab es eine grundsätzliche Zustimmung der Mehrheit der wortnehmenden Mitgliedstaaten für die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene außergewöhnliche Makrofinanzhilfe. Eine Vielzahl von Mitgliedstaaten hatte allerdings noch Klärungsbedarf zur Ausgestaltung des Vorschlags.

    Eine Gruppe osteuropäischer Mitgliedstaaten sprach sich für mehr Unterstützung der durch den Krieg in der Ukraine besonders betroffenen EU-Mitgliedstaaten aus; gegebenenfalls durch ein neues Instrument oder Anpassung der Kohäsionsregelungen.

    Im Rahmen der Diskussion zu den Sanktionen sprachen sich viele Mitgliedstaaten für eine einheitliche Umsetzung aus. Eine Gruppe von Mitgliedstaaten befürwortete, sich eingehender mit der Beschlagnahmung und Verwendung eingefrorenen russischen Vermögens und den rechtlichen Aspekten zu beschäftigen.

    Die Europäische Kommission erwiderte, dass es zu früh für eine Bezifferung der langfristigen Unterstützungsmaßnahmen sei. Auch wenn die Ukraine Zuschüsse bevorzuge, stelle sich die Frage der Finanzierung. Der französische Vorsitz schlussfolgerte, dass man sich die Frage der Zuschüsse und Darlehen genauer anschauen müsse, aber insgesamt große Eilbedürftigkeit bei den Finanzhilfen bestehe.

    Im Rahmen des Tagesordnungspunkts zur wirtschaftlichen Erholung gab die Europäische Kommission einen Überblick über die Umsetzung der RRF und erläuterten die wesentlichen Elemente von REPowerEU und deren Verknüpfung mit der RRF sowie den nationalen Aufbau- und Resilienzplänen (ARP). Nach aktuellem Stand seien 24 ARP verabschiedet und bereits rund 100 Mrd. Euro ausgezahlt worden.

    Durch REPowerEU solle die Abhängigkeit von fossilen russischen Energiequellen reduziert und eine resilientere Energieversorgung erreicht werden. Die RRF spiele bei der Erreichung der Ziele von REPowerEU eine zentrale Rolle und solle weiter aufgestockt werden. Eine Verknüpfung werde durch das Europäische Semester erreicht: Die Länderspezifischen Empfehlungen seien u. a. mit Blick auf die Umsetzung von REPowerEU-Zielen formuliert worden.

    Der Vertreter der Bundesregierung äußerte, er sei mit REPowerEU im Allgemeinen einverstanden. Gleichwohl blieben noch Fragen offen, insbesondere hinsichtlich der Umsetzung im Rechtsrahmen von Next Generation EU und der RRF. Dieser müsse eingehalten werden, da der spezifische und zeitlich befristete Charakter der RRF, welche zur Bekämpfung der Folgen der COVID-19-Pandemie gedacht sei, bestehen bleiben müsse. Deutschland zeigte sich bezüglich der Finanzierung kritisch hinsichtlich der Nutzung der Marktstabilitätsreserve des EU-Emissionshandelssystems, da die Zielsetzung der langfristigen CO2-Preisstabilisierung unterlaufen werden könne.

    Neben einer allgemeinen Zustimmung zur Zielsetzung von REPowerEU äußerten in der kurzen Aussprache einige Mitgliedstaaten Kritik an der Nutzung des bestehenden Verteilungsschlüssels der RRF. Neben Deutschland kritisierten auch weitere Mitgliedstaaten die Nutzung der Marktstabilitätsreserve des EU-Emissionshandelssystems zur Finanzierung.

    Die Europäische Kommission stellte bezüglich der Weiterentwicklung der Zollpolitik den Bericht der Gruppe der Weisen „Putting more Union in the European Customs: Ten proposals to make the EU Customs fit for a Geopolitical Europe“ vor.

    Die Europäische Kommission erklärte, dass es an der Zeit sei, die Zollunion auf die nächste Stufe zu heben und sie mit einem stärkeren Rahmen auszustatten. Hierzu sei eine Reform des Zolls notwendig. Durch Brexit, Corona-Pandemie und Ukrainekrieg sei die Wichtigkeit und Rolle des Zolls wieder verstärkt öffentlich in Augenschein getreten. Gerade vor dem Hintergrund der neuen Herausforderungen würden Kontrollen immer wichtiger werden; hierfür bedürfe es einer echten europäischen Zollunion statt wie bisher 27 Zollverwaltungen.

    Die Europäische Kommission werte aktuell den von der Gruppe der Weisen vorgelegten Abschlussbericht und seine Empfehlungen zur Fortentwicklung der Zollunion aus. Innerhalb der nächsten vier Monate solle eine Reflexionsgruppe mit den Mitgliedstaaten etabliert werden. Ziel seien konkrete Legislativvorschläge der Europäischen Kommission für den Herbst 2022.

    Wortmeldungen seitens der Mitgliedstaaten gab es nicht.

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