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  • Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage

    Eu­ro­päi­sche Wirt­schafts- und Fi­nanz­po­li­tik

    Rückblick auf die Sitzung der Eurogruppe und die informellen Sitzungen der ECOFIN-Ministerinnen und -Minister am 25. Februar 2022 in Paris und am 2. März 2022

    Aufgrund der aktuellen geopolitischen Entwicklungen in der Ukraine hat die französische Ratspräsidentschaft die Planungen kurzfristig grundlegend geändert und den Fokus der Beratungen der ECOFIN-Ministerinnen und -Minister, der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB) auf die Lage in der Ukraine gelegt. Es fand ein intensiver Austausch statt, insbesondere zu den wirtschaftlichen und finanziellen Folgen der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine sowie zu möglichen Sanktionen.

    Einleitend gaben die Europäische Kommission und die EZB eine erste vorläufige Einschätzung zu den möglichen wirtschaftlichen und finanziellen Folgen. Sie betonten insbesondere die bestehenden erheblichen Unsicherheiten. Die Europäische Kommission erläuterte die Finanzsanktionen wie am Vortag politisch entschieden. Die EZB bekräftigte erneut, geldpolitische Entscheidungen datenbasiert zu treffen. Bundesfinanzminister Christian Lindner betonte die besondere Bedeutung der europäischen gemeinsamen Werte und Interessen in dieser Zeit sowie die Notwendigkeit der umfänglichen Unterstützung für die Ukraine. Er sprach sich dafür aus, persönliche Sanktionen gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den russischen Außenminister Sergei Lawrow zu verhängen. Alle Optionen lägen weiterhin auf dem Tisch, auch ein Ausschluss Russlands aus der Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication sei denkbar. Dies sei sorgfältig zu prüfen. Auch die anderen wortnehmenden Mitgliedstaaten brachten ihre Unterstützung für die Ukraine und ihre Sorge zum Ausdruck. Im Mittelpunkt der Beiträge standen die humanitären und wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine, die Auswirkungen auf die Energieversorgung und -preise, Möglichkeiten zum Schutz der europäischen Wirtschaft und der Umgang mit den mit der Krise einhergehenden möglichen zusätzlichen fiskalischen Belastungen. Die ECOFIN-Ministerinnen und -Minister widmeten sich vertieft der Sanktionsfrage.

    Beim Mittagessen trug Daniela Schwarzer (Executive Director in Europa und Eurasien für die Open Society Foundations) vor. Der Schwerpunkt ihrer Intervention lag ebenfalls auf der Ukrainekrise und der geopolitischen Situation. Im Mittelpunkt des Mittagessens stand allerdings der Entwurf einer gemeinsamen Presseerklärung zur Ukraine, welche die ECOFIN-Ministerinnen und -Minister zusammen mit der Europäischen Kommission und der EZB verabschiedet hatten. Die Ministerinnen und Minister bekräftigen darin, die am Vortag vom Europäischen Rat verabschiedeten wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen unverzüglich umsetzen zu wollen, und baten die Europäische Kommission und die EZB, die Folgen einer weiteren Einschränkung des Zugangs russischer Finanzinstitute zum Finanzsystem zu prüfen. Die Präsidentin der EZB Christine Lagarde veröffentlichte am 25. Februar 2022 ein zusätzliches eigenes Statement zur Ukraine, in dem sie bekräftigt, dass die EZB die von der EU und den europäischen Regierungen beschlossenen Sanktionen umsetzen werde. Ferner wird darin unterstrichen, dass die EZB bereit sei, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um ihrer Verantwortung für die Sicherung der Preis- und Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet gerecht zu werden.

    Eurogruppe

    Die Eurogruppe tauschte sich zunächst über die Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung (sogenannte Economic Governance Review) in Bezug auf die Eurozonendimension des makroökonomischen Ungleichgewichteverfahrens (Macroeconomic Imbalance Procedure, MIP) aus. Im Oktober 2021 hatte die Europäische Kommission die Überprüfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts sowie des MIP wieder aufgenommen. Die Eurogruppe stimmte darin überein, dass sich die Wirtschaft im Euroraum weiter erholt, was für die Angemessenheit der gemeinsam getroffenen Maßnahmen spricht und die Zuversicht bestärkt, dass die Wirtschaft den zunehmenden Herausforderungen gewachsen ist. Die Ministerinnen und Minister teilten die Meinung, dass das MIP einen Beitrag zum Abbau von Ungleichgewichten leiste, und erkannten die Bedeutung für den Euroraum an. Einige Ministerinnen und Minister sprachen sich für eine stärkere Rolle der Eurogruppe aus, um die Eigenverantwortung und politische Zugkraft des Verfahrens zu steigern. Die Ministerinnen und Minister stimmten im Allgemeinen darin überein, die Verbindung zwischen dem MIP und anderen Überwachungsprozessen (insbesondere den Eurozonenempfehlungen) zu stärken. Auch aus deutscher Sicht leistet das bestehende MIP einen wichtigen Beitrag für die Früherkennung von potenziellen Krisen. Bundesfinanzminister Christian Lindner hob in seiner Intervention insbesondere die Bedeutung der Beibehaltung des asymmetrischen Ansatzes bei der Bewertung von Leistungsbilanzüberschüssen und -defiziten als angemessen und gerechtfertigt hervor.

    Anschließend befasste sich die Eurogruppe mit dem aktuellen Stand der Arbeiten der EZB zum digitalen Euro. Am 14. Juli 2021 hatte der Gouverneursrat der EZB den Start einer zweijährigen Untersuchungsphase für einen digitalen Euro beschlossen („Investigationsphase“). Die Europäische Kommission hat kürzlich in Aussicht gestellt, voraussichtlich Anfang 2023 einen möglichen Rechtsakt zum digitalen Euro vorzustellen. Zunächst informierten die EZB und die Europäische Kommission die Eurogruppe über die laufenden Arbeiten zum digitalen Euro: Die EZB erläuterte den laufenden Arbeitsprozess und stellte insbesondere den Sachstand in Bezug auf mögliche Anwendungsfälle für einen digitalen Euro vor. Die Europäische Kommission informierte, dass sie eine öffentliche Konsultation in Vorbereitung des Gesetzgebungsprozesses zeitnah anstoßen werde. Die Eurogruppe bekräftigte erneut die weitreichende Bedeutung des Projekts zum digitalen Euro. In der Diskussion brachten die wenigen intervenierenden Mitgliedstaaten ihre Unterstützung der laufenden Arbeiten der EZB zum Ausdruck. Die Eurogruppe veröffentlichte ein Statement und begrüßte darin den Einsatz der EZB und der Europäischen Kommission. Die Eurogruppe bekräftigte, in diesem Prozess weiterhin eine aktive Rolle zu spielen.

    Des Weiteren wurde über die erreichte Einigung im Grundsatz (vorbehaltlich Parlamentsbeteiligung) über die von Griechenland beabsichtigte vorzeitige Teil-Rückzahlung europäischer Hilfskredite aus dem ersten Hilfsprogramm informiert. Über die vorzeitige Rückzahlung des Darlehens des Internationalen Währungsfonds durch Griechenland bestand bereits zuvor Einigkeit. Dies wurde von der Eurogruppe in einem Statement begrüßt. Daneben bestätigte die Eurogruppe erwartungsgemäß die Wiederernennung von Tuomas Saarenheimo als Vorsitzender der Eurogruppen-Arbeitsgruppe für eine weitere zweijährige Amtszeit ab dem 1. April 2022.

    Informeller ECOFIN-Rat

    Der inhaltliche Fokus lag auf der Sicherstellung starken und widerstandsfähigen Wachstums, insbesondere auch mit Blick auf die Rolle des europäischen Finanzsektors. Am informellen ECOFIN-Rat nahm auch die Vorsitzende des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Europäischen Parlaments Irene Tinagli teil. Ferner waren die Zentralbankgouverneurinnen und -gouverneure der nationalen Notenbanken zu den Arbeitssitzungen I und II eingeladen worden.

    In der ersten Arbeitssitzung wurden Wege aus der COVID-19-Krise und die Weichenstellungen für die kommenden Jahre bis 2030 behandelt. In die Debatte führte OECD-Chefvolkswirtin Laurence Boone ein, deren Präsentation sich auf Wege zu einer besseren Zukunft nach der Pandemie in der EU konzentrierte, auch vor dem Hintergrund der neuen geopolitischen Spannungen. Es bestehe das Risiko anhaltend hoher Energiepreise bei gedämpftem Wachstum. Hinsichtlich der geopolitischen Spannungen arbeitete sie heraus, dass, während die Handelsbeziehungen sowie die direkten Finanzbeziehungen zwischen Russland und den meisten EU-Mitgliedstaaten eher weniger stark ausgeprägt seien, russisches Gas eine wichtige Rolle im europäischen Energiemix spiele. Die Energieversorgungssicherheit der EU sei ziemlich vulnerabel. Die Aussichten der EU würden auch durch die wachsende digitale Kluft mit dem Rest der Welt getrübt. Es herrsche ein Qualifikationsdefizit in der EU, und die EU habe Probleme, Talente zu halten. Nur wenige der Tech-Giganten seien aus Europa. Es gebe einen Bedarf an digitalen Investitionen. Um die Klimaziele zu halten, seien mehr Innovationen im Bereich der sauberen Energie erforderlich sowie mehr öffentliche Investitionen. Die Europäische Kommission teilte die Einschätzung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD). Sie informierte über eine Gruppe hochrangiger Expertinnen und Experten, die von Kommissar Paolo Gentiloni einberufen wurde, um sich über die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen Post-COVID auszutauschen. Die Europäische Kommission betonte die Rolle von Next Generation EU und stellte heraus, dass es eine gemeinsame Aufgabe sei, Wege zur Stabilität zu finden. Die EZB lobte den Beitrag der OECD und stellte insbesondere auf die Bedeutung der Banken- und Kapitalmarktunion (Capital Markets Union, CMU) ab. Die Vorsitzende des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Europäischen Parlaments Irene Tinagli unterstrich die Notwendigkeit solidarischen Handelns und drückte die Besorgnis des Europäischen Parlaments über die Inflation und Energiepreise aus. Die Beiträge der wortnehmenden Mitgliedstaaten gingen in die gleiche Richtung: Eine Gruppe Mitgliedstaaten betonte die zentrale Rolle von Bildung und Qualifikationen, während andere Mitgliedstaaten die Bedeutung einer breiten Innovationsdynamik unterstrichen. Einige Mitgliedstaaten unterstrichen ebenfalls die Relevanz privater Investitionen, andere Mitgliedstaaten stellten auf die Bedeutung der CMU ab.

    Die zweite Arbeitssitzung befasste sich mit einem starken Finanzsektor für stärkeres Wachstum in Europa. Die ECOFIN-Ministerinnen und -Minister wurden von William Wright, Gründer und Manager des Think TanksNew Financial“, und Ana Botín, Aufsichtsratsvorsitzende der Banco Santander, in die Thematik eingeführt. William Wright erläuterte, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen entscheidend für private Investitionen seien. Die europäischen Kapitalmärkte seien zu klein und fragmentiert, es gebe deutliches Wachstumspotenzial. Ana Botín betonte ebenfalls die Bedeutung der CMU. Sie stellte insbesondere auf die Rolle der Banken ab und erläuterte, dass die Harmonisierung des relevanten rechtlichen Rahmens zentral für die Wettbewerbsfähigkeit sei. Die Europäische Kommission rief ebenfalls zur Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion auf. Die Finanzindustrie sei der Schlüsselsektor für grüne Investitionen. Bei den wortnehmenden Mitgliedstaaten herrschte Einigkeit über die Bedeutung der CMU. Der Präsident der Deutschen Bundesbank Joachim Nagel intervenierte zur CMU: Seit das Projekt „Next CMU“ im Jahr 2019 präsentiert wurde, seien leider keine signifikanten Fortschritte erzielt worden, und der aktuelle Sachstand einer Kapitalmarktunion sei mithin enttäuschend. Vielleicht seien die bisherigen Pläne einer großen Lösung zu ambitioniert. Er schlage daher kleinere, aber realistische Schritte vor, z. B. im Bereich „Green Finance“. Dabei handle es sich um einen von Grund auf neuen Regelungsbereich, den man gemeinsam harmonisiert erarbeiten könne. Die Harmonisierung von 27 bereits bestehenden Insolvenzrechtsregimen beispielsweise erweise sich im Vergleich als sehr komplex.

    Informelle Videokonferenz des ECOFIN-Rates

    Am 2. März 2022 setzte die französische Ratspräsidentschaft zudem kurzfristig eine informelle Videokonferenz des ECOFIN-Rates an. Im Mittelpunkt stand eine erste Bestandsaufnahme nach Verabschiedung der umfassenden Sanktionen gegen Russland. Hierbei standen insbesondere die Auswirkungen auf den Finanzsektor in Russland, die Auswirkungen auf die Wirtschaft der EU und die Diskussion möglicher weiterer Sanktionen im Vordergrund.

    Die ECOFIN-Ministerinnen und -Minister standen in großer Einigkeit hinter den getroffenen Sanktionen und forderten die Verabschiedung weiterer Maßnahmen zum Schließen von Schlupflöchern und zur Verhinderung einer Umgehung von Sanktionen. Das Gros der Mitgliedstaaten sprach sich explizit für die Erweiterung der Sanktionen gegen Belarus und die Einbeziehung von Kryptowährungen aus.

    Bundesfinanzminister Christian Lindner dankte den EU-Institutionen für die geleistete Arbeit und begrüßte ausdrücklich das vereinte Vorgehen der EU. Die Maßnahmen gegen die russische Zentralbank seien sehr effektiv gewesen und Deutschland sei offen für die Prüfung weiterer Maßnahmen.

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