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    Ak­tu­el­le Her­aus­for­de­run­gen der eu­ro­päi­schen Ban­ken­ab­wick­lung

    • Ziel des einheitlichen europäischen Abwicklungsmechanismus ist es, dass Banken abwicklungsfähig sind – zum Schutz der Finanzstabilität und der europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
    • Um Abwicklungspläne in der Praxis effektiv umsetzen zu können, werden vor allem die operativen Voraussetzungen bei den Banken verbessert und bail-in-fähiges Kapital, insbesondere in Form nachrangiger Verbindlichkeiten, kontinuierlich aufgebaut.
    • Falls bei einzelnen Banken Fortschritte nicht ausreichend sein sollten, stehen den Abwicklungsbehörden Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Banken zur Verfügung. Sie können Maßnahmen durchsetzen, um die Abwicklungsfähigkeit des jeweiligen Instituts zu verbessern.
    • Die Funktionsfähigkeit des einheitlichen europäischen Abwicklungsmechanismus wird durch den Ausschuss für die einheitliche Abwicklung (Single Resolution Board) und die nationalen Abwicklungsbehörden beständig fortentwickelt.

    Einleitung

    Im Jahr 2016 wurde mit der zweiten Säule der Bankenunion der einheitliche europäische Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM) geschaffen. Ziel des Mechanismus ist es, eine Bank in Schieflage geordnet abwickeln zu können, ohne die Finanzstabilität zu gefährden oder öffentliche Gelder einsetzen zu müssen. Damit soll zur Lösung des „Too Big to Fail“-Problems beigetragen werden. Diese Regelungen sind auch mehr als eine Dekade nach der Finanzkrise sehr relevant.

    Der weitere Aufbau des SRM schreitet voran: Der als europäische Agentur in Brüssel im Januar 2015 neu errichtete Ausschuss für die einheitliche Abwicklung (Single Resolution Board, SRB) hat die institutionellen und operativen Grundlagen für die Durchführung von Abwicklungsmaßnahmen schrittweise ausgebaut. Im ersten und bislang einzigen Abwicklungsfall – der spanischen Banco Popular – hat der SRM seine Funktionsfähigkeit unter Beweis gestellt.

    Innerhalb des SRM arbeiten SRB und nationale Abwicklungsbehörden ­ in Deutschland ist dies die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ­ eng zusammen. Während der SRB für bedeutende Institute unter Aufsicht der Europäischen Zentralbank und einige grenzüberschreitende Gruppen zuständig ist, übernehmen die nationalen Abwicklungsbehörden die Planung von Abwicklungsmaßnahmen für weniger bedeutende Institute. Im Rahmen sogenannter Internal Resolution Teams wirken auch Beschäftigte der nationalen Abwicklungsbehörden an der Planung für Institute und Gruppen im Zuständigkeitsbereich des SRB mit.

    Im Fall einer Bankenabwicklung kann die Abwicklungsbehörde bestimmte Maßnahmen gegenüber dem Institut in Schieflage anordnen. Das Abwicklungsrecht, die sogenannte SRM‑Verordnung und das Gesetz zur Sanierung und Abwicklung von Instituten und Finanzgruppen, hält dafür den geeigneten Werkzeugkasten bereit: Das wichtigste Werkzeug der Abwicklungsbehörde ist der sogenannte Bail-in, also die Beteiligung von Anteilsinhabern und Gläubigern einer Bank an der Deckung der Verluste und an der Rekapitalisierung einer Bank.

    Bail-in
    bezeichnet die Herabschreibung von Kapitalinstrumenten und Verbindlichkeiten beziehungsweise deren Umwandlung in Anteile. Dadurch werden Anteilsinhaber und Gläubiger an den Verlusten und der Rekapitalisierung beteiligt.

    Eine Abwicklung nach den Vorschriften der SRM-Verordnung kommt nur für solche Banken infrage, bei denen eine Liquidation im regulären Insolvenzverfahren potenziell die Finanzstabilität gefährden könnte. In Deutschland wäre gemessen an der Gesamtanzahl der rund 1.350 Institute eine solche Abwicklung nur für sehr wenige Banken vorgesehen; für die ganz überwiegende Mehrzahl der deutschen Banken wäre hingegen ein reguläres Insolvenzverfahren der geeignete Weg.

    Die Abwicklungsbehörden legen den Fokus ihrer Arbeit daher auf die großen und potenziell systemrelevanten Banken. Ziel ihrer Arbeit ist es, dass Banken zum Schutz der Finanzstabilität und der europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abgewickelt werden können.

    Fortschritte bei der Schaffung der operativen Voraussetzungen für eine Bankenabwicklung

    Abwicklungspläne müssen in der Praxis kurzfristig umsetzbar sein. Diese von den Abwicklungsbehörden erstellten Pläne sind eine wichtige Voraussetzung, damit die Abwicklungsbehörde auf die mögliche Schieflage einer Bank vorbereitet ist und kurzfristig mit geeigneten Maßnahmen agieren kann. Aber auch bei den Banken selbst müssen die operativen Voraussetzungen hierfür getroffen sein.

    Erwartungen an die Banken

    Banken sind in der Mitwirkungspflicht. Vor diesem Hintergrund wurde vom SRB das Dokument zu Erwartungen an die Abwicklungsfähigkeit der Banken („Expectations for Banks”)1 veröffentlicht. Darin sind die Anforderungen genannt, die die Institute selbst erfüllen müssen. Dazu zählen beispielsweise der Aufbau einer Bail-in-Kapazität und von Informations- und Datenbereitstellungssystemen oder der Zugang zu Finanzmarktinfrastrukturen, also zu Börsen und Zentralverwahrern, im Abwicklungsfall. Sämtliche Anforderungen sollen bis spätestens zum Ende des Jahres 2023 bei allen SRB-Banken vollständig erfüllt sein.

    Die Bail-in-Kapazität
    ist das vorhandene Volumen an solchen Kapitalinstrumenten und Verbindlichkeiten einer Bank, die für die Durchführung eines Bail-ins zur Verfügung stehen.

    Der SRB gibt den Banken die Prioritäten vor. Sie werden vom SRB jährlich sowohl für alle bedeutenden Institute übergreifend als auch individuell für einzelne Institute festgelegt. Im Jahr 2021 zählen zu den drei übergreifenden Prioritäten für alle Banken die Verbesserung der Informationssysteme, die Simulation des Liquiditätsbedarfs im Abwicklungsfall sowie die Schaffung der Voraussetzungen für einen Bail-in.

    Bei der Schaffung der operativen Voraussetzungen findet stets das Prinzip der Proportionalität Beachtung; auch sind die individuellen Fortschritte der einzelnen Bank zu bewerten, die Abwicklungsfähigkeit durch Justierung geeigneter Stellschrauben zu verbessern.

    Das Werkzeug Bail-in wird im Folgenden beispielhaft für die Schaffung von operativen Voraussetzungen für eine Bankenabwicklung näher betrachtet.

    Voraussetzungen für einen Bail-in

    Grundvoraussetzung für einen Bail-in sind ausreichende Bail-in-Kapazitäten. Das heißt, Banken müssen im von der Abwicklungsbehörde festgelegten Umfang Eigenkapitalinstrumente und Verbindlichkeiten ausgegeben haben, die beim Bail-in herangezogen werden können. Weiterhin müssen die Banken in der Lage sein, kurzfristig die hierzu von der Abwicklungsbehörde benötigten Daten in guter Qualität bereitzustellen. Dafür sollten IT-Systeme und interne Prozesse in den Instituten bereitstehen. Nach der Anordnung des Bail-ins durch die Abwicklungsbehörde muss dieser auch mit den Finanzmarktinfrastrukturen umgesetzt werden können. Eine strukturierte Vorbereitung und Planung ist für diese zeitkritischen Prozesse, die im Zweifel binnen weniger Tage umgesetzt werden müssen, unerlässlich.

    Operative Voraussetzungen für einen Bail-in

    Zu den wesentlichen Voraussetzungen für die Durchführung eines Bail-in zählen

    • ausreichende Bail-in-Kapazitäten,
    • die Fähigkeit zur schnellen Datenbereitstellung in guter Qualität und
    • die Vorbereitung der Umsetzung mit den Finanzmarktinfrastrukturen.

    Bail-in-Kapazitäten

    Zur Sicherstellung ausreichender Bail-in-Kapazitäten wird eine institutsspezifische Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities, MREL) festgesetzt. Die MREL-Anforderung dient dazu, sicherzustellen, dass im Bedarfsfall ausreichend Kapitalinstrumente und Verbindlichkeiten für das Werkzeug Bail-in zur Verfügung stehen. Eine Übersicht über die Haftungskaskade im Rahmen des Bail-ins und die jeweiligen Instrumente ist auf der Internetseite der BaFin abrufbar.2

    MREL
    bezeichnet die Mindestanforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten. Die MREL-Anforderungen werden für jede Bank individuell festgelegt. Wenn für eine Bank keine Abwicklung vorgesehen ist, dann entspricht die MREL-Anforderung der aufsichtlichen Eigenmittelanforderung.

    Soweit Institute noch nicht über ausreichende Bail-in-Kapazitäten verfügen, müssen entsprechende Verbindlichkeiten sukzessive aufgebaut werden. Bis spätestens zum Jahresende 2023 müssen alle Banken unter der SRB-Zuständigkeit ihre MREL-Anforderungen vollständig erfüllen. Dafür werden kontinuierlich Kapitalinstrumente und Verbindlichkeiten, die verschiedenen Rängen in der Insolvenzrangfolge zugeordnet sein können, von den Banken am Markt emittiert (s. a. Abbildung 1). Die Abwicklungsbehörden geben verbindliche Zwischenziele vor und überwachen diesen Aufbau fortlaufend.

    Fortschritte beim Aufbau dieser Kapazitäten werden regelmäßig veröffentlicht. Mit dem „MREL dashboard3 stellt der SRB in jedem Quartal einen Überblick über die Höhe des Aufbaus von MREL-Kapazitäten in den einzelnen Ländern zur Verfügung. Dadurch wird ersichtlich, dass der Aufbau voranschreitet, aber Unterschiede zwischen den Banken in einzelnen Ländern bestehen. Im dritten Quartal 2020 wurden Instrumente im Wert von insgesamt 50,9 Mrd. € begeben. Deutsche Institute sind im Allgemeinen gut mit bail-in-fähigen Verbindlichkeiten ausgestattet.

    Emission von MREL-Instrumenten von Banken in Europa

    in Mrd. €

    Das Säulendiagramm stellt Emission von MREL-Instrumenten von Banken in Europa dar.
    Stand: 3. Quartal 2020.
    Quelle: SRB, „MREL dashboard“
    null
    Q1 2019112,1
    Q2 201976,7
    Q3 201960,2
    Q4 201956,6
    Q1 202091,7
    Q2 202088,2
    Q3 202050,9
    Abbildung 1

    Bankenabwicklungsfonds

    Ein weiterer wichtiger Baustein des SRM ist der ebenfalls im Aufbau befindliche einheitliche Abwicklungsfonds (Single Resolution Fund, SRF). Banken in den teilnehmenden Mitgliedstaaten der Bankenunion (Euroraum sowie derzeit Bulgarien und Kroatien) entrichten jährlich eine Abgabe, um den SRF zu befüllen. Aktuell befinden sich rund 42 Mrd. € im SRF. Der SRF wird weiter gemäß den gesetzlichen Vorgaben befüllt: Die Zielausstattung des SRF zum Jahresende 2023 beläuft sich auf mindestens 1 Prozent der gedeckten Einlagen der Kreditinstitute in den teilnehmenden Mitgliedstaaten. Vorbehaltlich der Billigung durch die Mitgliedstaaten sollen ab dem Jahr 2022 zusätzlich als letztes Mittel Kreditlinien des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) an den SRF bis zur Höhe von maximal 68 Mrd. € zur Verfügung stehen (sogenannter Common Backstop).

    Common Backstop
    bezeichnet die Letztsicherung des Bankenabwicklungsfonds durch Kreditlinien des ESM.

    Die Mittel des SRF stehen im Rahmen einer Abwicklung zusätzlich zum Bail-in für die Rekapitalisierung zur Verfügung, jedoch erst dann, wenn ein Bail-in in Höhe von mindestens 8 Prozent der gesamten Verbindlichkeiten und Eigenmittel bei der betroffenen Bank erfolgt ist. Damit haften Anteilseigner und Gläubiger, bevor sich gegebenenfalls der SRF beteiligt.

    Vorbereitung einer Bankenabwicklung und Sanktionsmöglichkeiten

    Die Vorbereitung beziehungsweise Planung einer Bankenabwicklung ist ein fortlaufender Prozess. SRB und nationale Abwicklungsbehörden kooperieren dabei in sogenannten Internal Resolution Teams für jeweils eine Bank in der Zuständigkeit des SRB mit dem Ziel, die Abwicklungsfähigkeit der jeweiligen Bank zu verbessern. Der Fortschritt wird jährlich in den Abwicklungsplänen dokumentiert. Daraus ergeben sich auch die Prioritäten für die von den Instituten umzusetzenden Maßnahmen.

    Umgang mit Hindernissen

    Abwicklungsbehörden bewerten die individuelle Abwicklungsfähigkeit von Banken. Falls dabei potenzielle Hindernisse für eine Abwicklung zu erkennen sind, werden die Institute aufgefordert, diese zu beseitigen. Abwicklungshindernisse können z. B. das Fehlen von IT‑Systemen zur schnellen Datenbereitstellung für die Umsetzung eines Bail-ins oder eine Unterschreitung der MREL-Anforderung sein.

    Die Abwicklungsbehörden haben auch Sanktionsmöglichkeiten: Wenn die Fortschritte bei der Beseitigung wesentlicher Hindernisse nicht ausreichen, können die Abwicklungsbehörden die Beseitigung von Abwicklungshindernissen bei den Banken per Verwaltungsakt anordnen. Darüber hinaus können die Abwicklungsbehörden dem Institut beispielsweise auch untersagen, Ausschüttungen vorzunehmen.

    Vor-Ort-Prüfungen und Testläufe

    Abwicklungsbehörden werden künftig vermehrt Vor-Ort-Prüfungen durchführen, um den Stand der Vorbereitungen auf einen eventuellen Abwicklungsfall bei den Instituten zu überprüfen und Stellschrauben im Hinblick auf die Abwicklungsfähigkeit zu justieren. Zeitkritische Prozesse der Datenbereitstellung dürfen nicht nur auf dem Papier konzipiert sein, sondern sie müssen auch in der Praxis durchführbar sein. Die Abwicklungsbehörden prüfen dies anhand von Testläufen.

    Internationale Kooperation

    Grenzüberschreitende Kooperation ist eine Grundvoraussetzung für die bestmögliche Vorbereitung von Abwicklungsmaßnahmen. Das gilt sowohl innerhalb des einheitlichen Abwicklungsmechanismus als auch für die Zusammenarbeit mit den Abwicklungsbehörden von Drittstaaten außerhalb der Bankenunion wie den USA oder dem Vereinigten Königreich.

    In sogenannten Abwicklungskollegien kommen daher jährlich alle relevanten Behörden der einzelnen Staaten zusammen: Hier wird gemeinsam über die Fortschritte und Herausforderungen bei der Herstellung der Abwicklungsfähigkeit eines Instituts beraten. Zudem wird anhand operativer Übungen die Effektivität grenzüberschreitender Kooperation getestet, beispielsweise im Rahmen einer sogenannten Trilateral Principle Level Exercise zwischen der Bankenunion, den USA und dem Vereinigten Königreich.

    Ausblick

    Mit den weltweiten Reformen zur Lösung des „Too Big to Fail“-Problems ­ wie dem Aufbau des SRM ­ wurde ein Paradigmenwechsel im Umgang mit Banken in Schieflage vom Bail-out mit öffentlichen Mitteln hin zum Bail-in privater Anteilsinhaber und Gläubiger angestoßen. Global betrachtet zeigt die jüngste Evaluation des Finanzstabilitätsrats (Financial Stability Board)4, dass die „Too Big to Fail“-Reformen die Banken widerstandsfähiger und abwicklungsfähiger gemacht und systemische Risiken reduziert haben.

    Herausforderungen liegen in der praktischen Anwendung und der konsistenten Umsetzung der Regelungen. Außerdem sind stetige Verbesserungen nötig, um neuen Gegebenheiten und Erfahrungen Rechnung zu tragen. Auch in Europa sollen auf der Basis der gewonnenen praktischen Erfahrungen die bestehenden Regelungen weiterentwickelt werden: Im Jahr 2021 soll das europäische Regelwerk für das Krisenmanagement zielgerichtet verbessert werden. Auch dabei wird der Schutz der europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler beziehungsweise der Einlegerinnen und Einleger weiterhin im Vordergrund stehen.

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