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  • Analysen und Berichte

    Gut­ach­ten des Wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats beim BMF zur Ver­bes­se­rung der Da­tenin­fra­struk­tur für die Steu­er­po­li­tik

    • Gutachten und Stellungnahmen des unabhängigen Wissenschaftlichen Beirats beim BMF sind als Beitrag zum allgemeinen Diskurs zu verstehen und geben nicht notwendigerweise die Meinung des BMF wieder. Die Langfassung des Gutachtens mit Quellen- und Literaturangaben wurde auf der Webseite des BMF veröffentlicht.
    • Der Beirat empfiehlt die Einrichtung eines Forschungsdatenzentrums für Steuern.
    • Außerdem sollten die Steuerstatistiken verbessert werden und Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen Statistiken geschaffen beziehungsweise erweitert werden.

    Der Wissenschaftliche Beirat beim BMF befasst sich in einem aktuellen Gutachten „Notwendigkeit, Potenzial und Ansatzpunkte einer Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik“ mit dem Erfordernis und den Möglichkeiten für eine Verbesserung der quantitativen Analyse der Besteuerung in Deutschland. Im Gutachten wird ausführlich anhand des aktuellen Forschungsstands aufgezeigt, welche Erkenntnisse gewonnen werden können, wenn der Wissenschaft ein besserer Zugang zu administrativen Steuerdaten gewährt wird. Das Gutachten formuliert Anforderungen an die statistische Datenbasis, um vor diesem Hintergrund aufzuzeigen, in welchen Bereichen bei der Praxis der quantitativen Analyse der Besteuerung in Deutschland Defizite bestehen, und skizziert, wie andere Länder unter Wahrung des Steuergeheimnisses eine umfassende wissenschaftliche Nutzung administrativer Steuerdaten ermöglichen. In der hier vorgestellten Kurzfassung wird auf der Basis des Gutachtens zunächst erläutert, welche Funktion und Bedeutung die quantitative Erfassung des Steuersystems hat. Anschließend wird die bestehende Praxis in Deutschland skizziert, bevor die Schlussfolgerungen und Empfehlungen vorgestellt werden.

    Funktion und Bedeutung der quantitativen Analyse von Steuern

    Ein präzises Verständnis der Auswirkungen der Steuergesetzgebung ist für die politische Entscheidungsfindung zentral. Im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess kommt den finanziellen Auswirkungen von Steuergesetzen eine erhebliche Bedeutung zu. Allerdings sind die in Gesetzesvorlagen enthaltenen Angaben in der Regel nicht von unabhängiger Seite überprüfbar. Mitunter wird im Rahmen der Ressortforschung externe Expertise eingeholt, eine zeitnahe und transparente Berichterstattung erfolgt indes nicht. Eine gegen politische Einflussnahme robuste, unabhängige Abschätzung der Gesetzesfolgen ist damit nicht möglich. Zudem werden Verhaltensreaktionen auf Steuergesetzänderungen bei der Bestimmung der finanziellen Implikationen regelmäßig ausgeklammert, was zu erheblichen Verzerrungen bei der Abschätzung der Gesetzesfolgen führen kann. Dass dies ein relevantes Problem ist, ist seit Jahren bekannt. Die Problematik wurde dem Gesetzgeber beispielsweise durch das überraschende negative Ergebnis beim Aufkommen der Körperschaftsteuer im Jahre 2001 deutlich vor Augen geführt, das durch eine eigentlich vorhersehbare Verhaltensreaktion auf die Unternehmenssteuerreform 2001 verursacht wurde. Dennoch wurde die Praxis der ausschließlich internen Abschätzung der Gesetzesfolgen nicht geändert. Die Relevanz solcher Analysen ist vor allem in den Bereichen evident, in denen Verhaltenswirkungen gesetzlich intendiert sind, beispielsweise in der Umwelt- oder Energiepolitik.

    Die Anforderungen an eine fundierte Gesetzesfolgenabschätzung sind hoch und erfordern neben dem Zugang zu Steuerdaten Methodenexpertise und detailliertes Institutionenwissen. Darüber hinaus sind die Anforderungen im Zeitablauf stetig gestiegen. Zum einen erhöht sich in vielen Bereichen der Anpassungsspielraum der Akteure, der erfasst werden muss, wenn Gesetzesfolgen quantifiziert werden sollen. Viele große Unternehmen agieren beispielsweise heute multinational und Beschäftigte sind zunehmend international mobil. Steuergesetzänderungen wirken daher über Landesgrenzen hinaus. Zudem ist im Zuge der wachsenden Internationalisierung das Steuerrecht erheblich komplizierter geworden und es bestehen schon bei der Diagnose der Auswirkungen der bestehenden Regelungen erhebliche Defizite.

    Die quantitative Erfassung des Steuersystems und seiner Wirkung ist auch mit Blick auf die Einhaltung von Fiskalregeln durch Bund, Länder und Kommunen von Bedeutung. Eine verlässliche und unabhängige Vorausschätzung der Einnahmenentwicklung ist hier unabdingbar, gerade auch wenn Steuerreformen anstehen. Unabhängige Gesetzesfolgenabschätzungen sind in diesem Kontext von hohem Wert. Die Abschätzung der finanziellen Auswirkungen von Steuerrechtsänderungen hat zudem großen Einfluss auf die Einhaltung der Regeln des europäischen Stabilitätspakts. Denn bei der Überprüfung der Vorgaben für die Ausgabenlinie werden die finanziellen Auswirkungen von steuerpolitischen Maßnahmen als Mehr- oder Minderausgaben berücksichtigt.

    In der öffentlichen Debatte zu Steuergesetzesänderungen spielen zudem Fragen der Steuergerechtigkeit und Steuerhinterziehung eine große Rolle. Zu beiden Themen existieren für Deutschland kaum Erkenntnisse. In welchem Maß Traglast und Zahllast von Steuern auseinanderfallen, weil Steuerbelastungen über Preisänderungen an andere Wirtschaftsakteure weitergegeben werden, ist beispielsweise weitgehend unklar. Seit Jahrzehnten gibt es zudem Informationen über erhebliche Ausfälle durch betrügerische Praktiken bei der Umsatzsteuer, und noch immer gibt es über das genaue Ausmaß nur Spekulationen. Ähnlich ist die Sachlage beim Steuerbetrug im Zusammenhang mit Aktiengeschäften rund um den Dividendenstichtag („Cum-Ex-Geschäfte“). Hinterziehungs- und Vermeidungspraktiken zu quantifizieren ist methodisch anspruchsvoll, da sie im Verborgenen stattfinden. Belastbare Aussagen lassen sich aber gerade durch Analyse administrativer Daten auf Ebene der einzelnen Steuererklärungen und der Anträge auf Steuererstattungen erzielen.

    In der quantitativen Analyse der Besteuerung wurden in den vergangenen Jahrzehnten weltweit erhebliche Fortschritte gemacht. Bis in die 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren die Steuerwissenschaften noch weitgehend theoretisch ausgerichtet. Entsprechend beschränkte man sich seitens der Wissenschaft darauf, die Effizienz der Steuerpolitik einzufordern und ein insgesamt widerspruchsfreies Steuersystem zu entwickeln, das grundsätzlichen Anforderungen an Verfassungsmäßigkeit, Gerechtigkeit und Effizienz Rechnung trägt und die Steuerbefolgungskosten begrenzt. Seitdem hat die datenbasierte Auswertung der tatsächlichen Erfahrungen mit dem Steuersystem und seinen Wirkungen weltweit ein immer größeres Gewicht gewonnen. Insbesondere wird heute in vielen Ländern anhand von Mikrodaten untersucht, welche Belastungswirkungen sich für steuerpflichtige Personen ergeben und welche Verhaltensreaktionen steuerliche Regelungen auslösen. Grundlage dieser Entwicklung ist, dass der Wissenschaft Zugang zu hochwertigen anonymisierten Mikrodaten der Steuerverwaltung gewährt wurde. Im Vergleich zur schnellen Entwicklung im Ausland ist dieser Zugang trotz einzelner Fortschritte in den vergangenen Jahren nach wie vor stark eingeschränkt. Über die Wirkungen des deutschen Steuersystems und seiner spezifischen Regelungen auf zentrale wirtschaftliche und soziale Zielgrößen gibt es daher in vielen wichtigen Bereichen nur Mutmaßungen. Dies gilt auch, weil Erkenntnisse aus anderen Ländern nicht ohne Weiteres auf den steuerrechtlichen, steueradministrativen und sozio-ökonomischen Kontext in Deutschland übertragen werden können.

    Zur Praxis in Deutschland

    Dem Zugriff auf Steuerdaten setzt das Steuergeheimnis des § 30 Abgabenordnung (AO) rechtliche Grenzen. Die Nutzung für wissenschaftliche Zwecke fällt nicht unter die in § 30 Abs. 4 AO geregelte befugte Offenbarung. Ein Anspruch auf Einsicht in nicht anonymisierte Steuerdaten besteht nicht. Auch auf der Grundlage der Informationsfreiheitsgesetze kann die Offenbarung von Steuerdaten nicht durchgesetzt werden.

    Neben das Steuergeheimnis tritt das allgemeine Datenschutzrecht, das auf der Grundlage der EU-Datenschutzgrundverordnung weiterentwickelt wurde. Steuerdaten als personenbezogene Daten dürfen gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchstabe b EU‑Datenschutzgrundverordnung nur zu gesetzlich festgelegten, eindeutigen und legitimen Zwecken verwendet werden. Die Weiterverarbeitung, d. h. auch die wissenschaftliche Aufarbeitung, bedarf einer gesonderten gesetzlichen Grundlage. Für die Weiterverarbeitung durch die Finanzverwaltung wurde in § 29c AO die erforderliche Rechtsgrundlage geschaffen. Hier ist insbesondere die Nutzung für die Gesetzesfolgenabschätzung geregelt (§ 29c Abs.  1 Satz 1 Nr.  5 AO). Die Weiterverarbeitung durch Dritte ist hiervon nicht gedeckt.

    Das Steuergeheimnis hat allerdings keinen Verfassungsrang, weitergehende Ausnahmen zugunsten einer wissenschaftlichen Nutzung könnten daher normiert werden, insbesondere, wenn Verfahren der Anonymisierung eingerichtet werden.

    Von zentraler Bedeutung für die Nutzung von Steuerdaten für wissenschaftliche Zwecke sind die Statistikgesetze. Auf der Grundlage des Gesetzes über Steuerstatistiken (StSatG) werden Bundesstatistiken über einzelne Steuerarten geführt, wie die Umsatzsteuer oder die Lohn- und Einkommensteuer. Die Steuerstatistiken sollen „der Beurteilung von Struktur und Wirkungsweise der Steuern und ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung“ dienen (§ 1 Abs. 1 StSatG). Wesentlicher Zweck ist die Verwendung der Daten für die Durchführung des Finanzausgleichs (§ 1 Abs. 2 bis 4 StSatG). Die Steuerstatistiken können aber auch für Forschungszwecke genutzt werden. § 7 Abs. 6a und Abs. 7 Steuerstatistikgesetz erlauben dem BMF und den obersten Finanzbehörden der Länder die Übermittlung von Daten an von ihnen für die Entwicklung von Mikrosimulationsmodellen beauftragte Forschungseinrichtungen. Neben der Übermittlung durch die Finanzbehörden lässt § 7 Abs. 6b StSatG auch im Fall der Auftragsforschung die Datenübermittlung direkt durch die Statistikbehörden zu.

    Für die Durchführung unabhängiger wissenschaftlicher Vorhaben erfolgt die Datenübermittlung auf der Grundlage von § 16 Abs. 6 Bundesstatistikgesetz (BStatG) durch die Statistikbehörden des Bundes und der Länder. Aus der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz lässt sich ableiten, dass die Datenübermittlung ermessensfehlerfrei nur aus Gründen eingeschränkter Kapazität abgelehnt werden kann, ansonsten aber ein Anspruch auf Datenbereitstellung besteht.

    Mit der Novellierung des StSatG von 1995 wurde eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, die Einzeldaten aus der Steuerstatistik zusammenzuführen und für Zusatz- und Sonderaufbereitungen zu nutzen. Dies beinhaltete zunächst die Bereitstellung der Lohn- und Einkommensteuer-, der Körperschaftsteuer- und der Umsatzsteuerstatistik für einzelne Jahre, beginnend 1992. Die Gewerbesteuerstatistik ist ab 1995  beziehungsweise 2010 verfügbar, die Erbschaft- und Schenkungssteuerstatistik ab 2002 beziehungsweise 2007. Allerdings wurden viele der Statistiken zunächst nicht jährlich, sondern nur in bestimmten Zeitintervallen erstellt und es handelte sich zunächst nur um bloße Querschnitte, sodass Steuerzahlungen und Merkmale nicht über die Zeit hinweg untersucht werden konnten.

    Mittlerweile wurden zwar schon fast alle der bereitgestellten Steuerstatistiken auf eine jährliche Basis umgestellt. Über die Zeit verknüpfte jährliche Paneldaten gibt es allerdings nur bei Einkommensteuer, Erbschaftsteuer und Umsatzsteuer. Auch Verknüpfungen zwischen den Steuerarten gibt es kaum. Einzige Ausnahme ist ein integrierter Datensatz (GKUVP) für Steuern auf Unternehmen. Diesen gibt es jedoch bisher nur für drei, allerdings nicht aufeinanderfolgende Jahre, und eine zeitliche Verknüpfung erfolgt nicht.

    Die Forschungsdatenzentren der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (FDZ) bieten unterschiedliche Zugangswege zu absolut, faktisch und formal anonymen Daten aus dem Bereich der Steuerstatistiken. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen Off-Site- und On-Site-Zugangswegen. Der Unterschied besteht im Wesentlichen im Grad der Anonymisierung und damit zusammenhängend in den Restriktionen bei der Beantragung beziehungsweise der Nutzung des Zugangswegs. Über die Off-Site-Zugangswege werden Daten entweder absolut anonym (§ 16 Abs. 1 Nr. 4 BStatG) in Form von Public Use Files (PUF) oder Campus Files oder faktisch anonym (§ 16 Abs. 6 Nr. 1 BStatG) in Form von Scientific Use Files (SUF) angeboten. Hierbei werden den Nutzenden die Daten für die Arbeit an ihrem Institut bereitgestellt. PUF und SUF werden in Form einer Daten-CD mit Passwortverschlüsselung an die Einrichtung, mit der der Nutzungsvertrag geschlossen wurde, versandt. Die On-Site-Zugangswege bieten Zugang zu formal anonymen (§ 16 Abs. 6 Nr. 2 BStatG) Mikrodaten entweder über die Arbeit an einem Gastwissenschaftlerarbeitsplatz (GWAP) an einem der Standorte der FDZ oder per kontrollierter Datenfernverarbeitung.

    Da anders als bei Befragungs- oder Zensusdaten bei steueradministrativen Daten die wissenschaftliche Nutzung nicht primäres Ziel der Datengenerierung und Datenverwaltung ist, sind notwendige Informationen zu Variablenbeschreibung, Codebooks etc. nicht oder nicht ausreichend vorhanden.

    Die Verantwortung der Steuerstatistiken liegt in den jeweiligen Statistischen Landesämtern. Wird eine Datennutzung in den FDZ beantragt, sind daher die Standorte aller Bundesländer zu informieren und gegebenenfalls bestehende Anmerkungen und Einwände zu berücksichtigen. Auch bei der Prüfung von On-Site erzeugten Ergebnissen unterhalb der Länderebene wünschen die Landesämter, eingebunden zu werden.

    Im Bereich der Steuerdaten erfolgt der Datenzugang normalerweise auf dem Wege der kontrollierten Datenfernverarbeitung oder am GWAP. Die bestehende Bereitstellung von Daten krankt an der dezentralen Verantwortung im föderalen Gefüge. Im Rahmen der konkreten Beantragung eines Datensatzes erfolgt regelmäßig eine fachliche Abstimmung des Nutzungsantrags mit allen statischen Landesämtern. In diesem Abstimmungsprozess gibt es erfahrungsgemäß Auffassungsunterschiede bezüglich der Möglichkeit einer Bereitstellung bestimmter Merkmale, die dann im Zweifel nicht bereitgestellt werden.

    Die personellen und technischen Ressourcen in den FDZ sowie die föderalen Zuständigkeiten bei den Steuerstatistiken können zu erheblichen Einschränkungen beziehungsweise Verzögerungen bei der Datenanalyse führen. Bei der Bereitstellung am GWAP kann teilweise aufgrund des großen Datenumfangs in den Steuerstatistiken und der vorhandenen technischen Ressourcen an den Standorten nur auf Stichproben zugegriffen werden (dies ist z. B. beim Taxpayer-Panel auf eine 0,5-Prozent-Stichprobe begrenzt). Darüber hinaus ist es je nach Rechtsauffassung der einzelnen Statistischen Landesämter erforderlich, bei einigen Statistiken zusätzliche Anonymisierungsmaßnahmen für die Bereitstellung am GWAP vorzunehmen oder keine Einzeldaten des jeweiligen Landes zur Auswertung am GWAP zur Verfügung zu stellen. Wenn sich andere Ämter dieser Auffassung nicht anschließen, erfolgt mitunter gar keine Bereitstellung.

    Per kontrollierter Datenfernverarbeitung können zwar formal anonyme Daten analysiert werden, allerdings erlaubt dieser Zugangsweg die Arbeit mit den Daten nur indirekt. Hier müssen nämlich Programmroutinen eingesandt werden, die dann geprüft und ausgeführt werden. Anschließend müssen die Ergebnisse geprüft werden, bevor diese an die Nutzenden freigegeben werden. Aufgrund der geringen personellen Kapazitäten in den FDZ kann es mehrere Wochen dauern, bis die geprüften Ergebnisse übermittelt werden. Im Rahmen eines Forschungsprojekts mit vielen Einzelanalysen und komplexen Anfragen summiert sich der Aufwand und die Analyseabschnitte ziehen sich oft über Monate hin. Außerdem ist aufgrund technischer Restriktionen die Anzahl der selektierbaren Variablen beschränkt (z. B. auf 25 Variablen von über 1.000 Variablen beim Taxpayer-Panel). Die kombinierte Nutzung der kontrollierten Datenfernverarbeitung und des GWAP kann in einigen Fällen durch die Vorteile des einen Verfahrens die Nachteile des jeweils anderen Zugangswegs zwar abmildern, aber dies führt zu weiteren Verzögerungen, insbesondere, wenn die Ergebnisse der Stichprobe und des Vollmaterials sich erheblich unterscheiden.

    Defizite im Datenangebot

    Ein zentrales Defizit des Datenangebots besteht darin, dass die Steuerdaten i. d. R. weder zeitlich noch zwischen den Steuerarten verknüpft sind. Insbesondere Fragen der Unternehmensbesteuerung können daher immer nur partiell untersucht werden. Dabei sind die Defizite im Kenntnisstand gerade in diesem Themengebiet erheblich. So sind beispielsweise das genaue Ausmaß und die Ursachen der vor Jahren bereits diagnostizierten erheblichen Verlustvorträge im Rahmen von Einkommen- und Körperschaftsteuer nach wie vor unbekannt. Diese Verlustvorträge haben gravierende Effekte auf das zukünftige Aufkommen insbesondere im Kontext von Gesetzesänderungen. Ein anderes Beispiel ist die Steuervermeidung durch die Gestaltung internationaler Sachverhalte. Obschon diese Thematik für die Steuerreformen der Jahre 2001 und 2008 eine wesentliche Rolle spielte, verfügt die Bundesregierung bis heute nicht über Schätzwerte über den Umfang der jährlichen Einnahmeverluste durch Steuervermeidung.

    Weiterhin fehlen für viele in der steuerpolitischen Diskussion wichtige Steuerarten aussagekräftige statistische Informationen. Das gilt z. B. für die Kapitalertragsteuer, die im Zusammenhang mit der Besteuerung von Dividendenerträgen Erfassungsdefizite und Betrugsvorgänge aufweist. Ungeachtet der erheblichen Größenordnung der bekannt gewordenen Betrugsfälle, beispielsweise bei Cum-Ex-Transaktionen, fehlt bislang eine Steuerstatistik der Kapitalertragsteuer. Um das konkrete Ausmaß des Betrugs bei den Steuererstattungen zu quantifizieren, ist dabei eine Verknüpfung mit den beim Bundeszentralamt für Steuern erfassten Erstattungsanträgen erforderlich. Auch für andere wichtige Steuerarten wie die Grunderwerbsteuer, die Grundsteuer und die Energiesteuer werden bisher keine Einzeldaten bereitgestellt.

    Da in steueradministrativen Daten häufig keine detaillierten demografischen Charakteristika (bei Personen- und Haushaltsdaten) beziehungsweise Firmencharakteristika und keine Informationen zur realwirtschaftlichen Aktivität enthalten sind, ist für viele Fragestellungen eine Verknüpfung mit externen Datenquellen erforderlich. Dieses Erfordernis ergibt sich auch, weil steuerzahlende Personen Anreize haben, Angaben an Steuerbehörden systematisch zu verzerren, um Vorteile zu erhalten. Das im Rahmen von Steuererklärungen angegebene zu versteuernde Einkommen muss nicht notwendigerweise mit dem über realwirtschaftliche Prozesse erwirtschafteten tatsächlichen Einkommen zusammenfallen, sondern kann aufgrund von Steuerhinterziehung niedriger ausfallen. Korreliert Steuerhinterziehung systematisch mit dem Einkommen, weicht beispielsweise die auf Basis von Informationen in Steuererklärungen gemessene Einkommensungleichheit von der tatsächlichen Einkommensungleichheit in einer Ökonomie ab. Allgemein können Effekte auf reale ökonomische Aktivität auf Basis von Steuererklärungen meist nur dann plausibel untersucht werden, wenn eine Verknüpfung mit anderen (administrativen und/oder nicht-administrativen) Datenquellen möglich ist.

    Verknüpfungen zwischen den Steuerstatistiken und mit externen Daten sind zwar technisch möglich, aber bis auf einzelne Ausnahmen praktisch nicht verfügbar. Ein Grund hierfür ist, dass das BStatG zwar erlaubt, Unternehmensdaten miteinander zu verknüpfen, aber das Verknüpfen von Unternehmens- und Personendaten nicht erlaubt ist. Ausnahmen müssten in einzelstatistischen Gesetzen erlaubt werden. Ein anderer Grund sind fehlende technische und insbesondere personelle Ressourcen in den FDZ.

    Empfehlungen

    Das Gutachten des Beirats stellt fest, dass in Deutschland erhebliche Defizite bei der Bereitstellung von Einzeldaten der amtlichen Steuerstatistik bestehen. Zwar werden die bei der Besteuerung zugrunde gelegten Sachverhalte längst digital erfasst und bearbeitet. Die verfügbare Dateninfrastruktur wird aber den Anforderungen nicht gerecht, die an die quantitative Erfassung des Steuersystems im Gesetzgebungsprozess, im Prozess der demokratischen Willensbildung, im Steuervollzug und in der verfassungsrechtlichen Kontrolle der Steuergesetze gestellt werden.

    Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, muss Deutschland die Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik so ausbauen, dass die vorhandenen administrativen Daten auf Mikroebene, also der Ebene der steuerzahlenden Person, in geeigneter anonymisierter Form auch tatsächlich genutzt werden können. Dies gilt für alle wesentlichen Bereiche der Finanz- und Steuerpolitik. Die Schätzung der künftigen Steuereinnahmen, die Aufkommensschätzung bei Steuerreformen, die Identifikation von Defiziten im Vollzug, die Verteilungswirkung des bestehenden Steuersystems und die Veränderung von Steuerlasten bei Reformen erfordern die Auswertung von Einzeldaten der Steuerstatistik. Darüber hinaus ist die Verfügbarkeit der Mikrodaten der Steuerstatistik und die Möglichkeit zur Verknüpfung mit anderen Daten für die Abschätzung der realwirtschaftlichen Effekte der Besteuerung unverzichtbar. Über die Steuerpolitik hinaus ist die Verbesserung der Dateninfrastruktur eine wesentliche Voraussetzung für eine effektive und effiziente Finanz- und Wirtschaftspolitik. Die Einzeldaten der Steuerstatik bieten in Bezug auf Datenqualität und Datenabdeckung große Vorteile im Vergleich zu anderen Datenquellen und können, da die entsprechenden Informationen in elektronischer Form bei Steuerbehörden verfügbar sind, vergleichsweise kostengünstig und ohne zusätzliche Belastung der steuerzahlenden Personen durch Umfragen bereitgestellt werden.

    Zwar gibt es Ansätze für eine Nutzung administrativer Steuerdaten in Deutschland, dennoch ist die Analyse solcher Daten in Deutschland aufgrund der Dateninfrastruktur im internationalen Vergleich deutlich unterentwickelt. Über die Wirkungen des deutschen Steuersystems und seiner spezifischen Regelungen auf zentrale wirtschaftliche und soziale Zielgrößen gibt es nach wie vor nur Mutmaßungen. Das Potenzial für ein besseres Verständnis des Steuersystems und seiner Wirkungen und die Möglichkeiten für eine evidenzbasierte Politikberatung ist weitgehend ungenutzt.

    Für eine durchgreifende und nachhaltige Verbesserung der Dateninfrastruktur für die Steuerpolitik schlägt der Beirat drei Maßnahmenpakete vor:

    Erstens sollte ein eigenes Forschungsdatenzentrum für Steuern eingerichtet werden. Zweck des Forschungsdatenzentrums für Steuern ist die Bereitstellung von anonymisierten Einzeldaten auf Basis der Steuerstatistiken. Das Forschungsdatenzentrum für Steuern sollte eine wissenschaftliche Leitung haben, die nach wissenschaftlichen Standards auf Datenanforderungen der Steuerpolitik und der Wissenschaft reagieren kann, und es sollte mit wissenschaftlichem Personal ausgestattet sein, das in gewissem Umfang einer eigenen Forschungstätigkeit – gegebenenfalls in Kooperation mit externen Wissenschaftlern – nachgeht.

    Zweitens sollten die Steuerstatistiken verbessert werden. So ist der Katalog der Steuerstatistiken um weitere Steuern zu erweitern, z. B. Grunderwerbsteuer, Grundsteuer und Kapitalertragsteuer, und auch die E-Bilanz-Daten sollten in anonymisierter Form bereitgestellt werden. Eine detaillierte geografische Auswertung bestehender Steuerstatistiken sollte ermöglicht werden, sodass Analysen unter Nutzung von Informationen über die örtlichen Merkmale durchgeführt werden können. Auch neue administrative Daten sind für die Forschung zugänglich zu machen.

    Drittens sollten Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen Statistiken geschaffen beziehungsweise ausgeweitet werden, die es erlauben, Individual- oder Unternehmensdaten einer amtlichen Statistik mit anderen nicht öffentlich zugänglichen Daten zu kombinieren.

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