- Die öffentlichen Schulden in Niedrigeinkommensländern haben wieder zugenommen, wobei eine Änderung der Zusammensetzung dieser Schulden zu beobachten ist.
- Nach Auffassung des Internationalen Währungsfonds befindet sich knapp die Hälfte aller Niedrigeinkommensländer in einer Situation, die durch ein hohes Risiko der Überschuldung gekennzeichnet ist, oder bereits in einer finanziellen Notlage.
- Die Bundesregierung setzt sich für Schuldentragfähigkeit, Schuldentransparenz, besseres Schuldenmanagement und eine verstärkte Mobilisierung staatlicher Einnahmen in Niedrigeinkommensländern ein.
Deutlicher Anstieg des Schuldenstands in Niedrigeinkommensländern
Seit der Finanzkrise 2008 ist eine grundsätzliche Zunahme der globalen Verschuldung zu beobachten. Diese Entwicklung betrifft nicht nur Industrie-, sondern auch Entwicklungs- und Schwellenländer. Nach der Entschuldung von 36 hochverschuldeten armen Ländern im Rahmen der Highly-Indebted-Poor-Countries-Initiative, kurz HIPC, zu Beginn der 2000er Jahre hat die Verschuldung insbesondere auch von Niedrigeinkommensländern (Low-Income Developing Countries, LIDCs) in den vergangenen Jahren wieder stark zugenommen. In den Niedrigeinkommensländern lag der öffentliche Schuldenstand im Jahr 2010 noch bei 39 % und stieg bis 2017 auf 52 %.
Niedrigeinkommensländer (Low-Income Developing Countries, LIDCs)
haben laut der Definition des IWF ein jährliches Bruttonationaleinkommen von weniger als 2.500 $ pro Kopf. Unter diese Definition fallen 59 Länder (Stand 2017).
Mehr als 80 % der Niedrigeinkommensländer haben eine Zunahme der Verschuldung seit 2012 verzeichnet. Insgesamt lag der öffentliche Schuldenstand 2017 im Durchschnitt zwar immer noch weit unterhalb des Stands von 2000 (siehe Abbildung 1). Jedoch ist die Schuldenvulnerabilität vieler Länder gestiegen. Der durchschnittliche Schuldendienst der LIDCs lag 2018 bei 19,5 % des nationalen Steuereinkommens (nach 12,5 % im Jahr 2012). Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) befand sich Ende 2018 knapp die Hälfte aller LIDCs in einer Situation, die ein hohes Risiko der Überschuldung aufweist oder schon als Notlage anzusehen ist (siehe Abbildung 2).
Die Forderungen des Bundes gegenüber Entwicklungsländern (Stand 31. Dezember 2018) belaufen sich insgesamt auf rund 15 Mrd. € (nach 16,1 Mrd. € im Jahr 2017). Insgesamt 17 % dieser Forderungen bestehen gegenüber Niedrigeinkommensländern, wovon 1,3 Mrd. € Forderungen aus finanzieller Zusammenarbeit resultieren und 1,2 Mrd. € Handelsforderungen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Deutschland ausschließlich Zuschüsse und technische Hilfe, aber keine Kredite an Niedrigeinkommensländer vergibt, die im Rahmen der HIPC-Initiative entschuldet wurden.
Was ist anders in der gegenwärtigen Situation?
Die geldpolitische Lockerung einiger großer Zentralbanken hat weltweit zu einer hohen Liquidität geführt. Schwellen- und Entwicklungsländer haben sich auch deshalb in den vergangenen Jahren zunehmend an den Kapitalmärkten refinanziert. Insgesamt ist die Verschuldung von LIDCs bis 2016 auf fast 53 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angestiegen, nachdem sie zwischenzeitlich bis auf knapp 40 % im Jahr 2013 zurückgegangen war.
Dieser Anstieg der Verschuldung in der vergangenen Dekade ist zu nahezu gleichen Teilen auf einen Anstieg der ausländischen sowie der inländischen Verschuldung zurückzuführen. So ist der Anteil der Auslandsverschuldung von LIDCs gegenüber kommerziellen Gebern von 2007 bis 2016 von 2,7 % auf 5,6 % des BIP angestiegen (siehe Tabelle 1): Damit machte die ausländische Verschuldung gegenüber kommerziellen Gebern 2016 bereits 15 % an der gesamten öffentlichen Auslandsverschuldung aus (nach 7 % im Jahr 2007). Angesichts des Ausbaus heimischer Kapitalmärkte in den LIDCs hat auch deren Inlandsverschuldung deutlich zugenommen. Dieser Teil der Verschuldung ist aber nicht dem Wechselkursrisiko und auch weniger dem Risiko anderer externer Faktoren ausgesetzt.
Problematisch an kommerzieller Verschuldung ist allerdings häufig, dass diese zu hohen Zinsen entsprechend dem Rating der Länder aufgenommen werden muss. Die Konditionen der Kredite von multilateralen Entwicklungsbanken oder auch Entwicklungskredite von bilateralen Gebern sind deutlich günstiger und haben relativ lange Laufzeiten. Diese Kredite sind für Niedrigeinkommensländer besser, um ihre Schuldentragfähigkeit zu sichern. Dies ist umso wichtiger, als schon jetzt Zinszahlungen die Ausgabeseite der LIDCs-Haushalte zunehmend belasten (siehe Abbildung 3). Allerdings ist die Verschuldung gegenüber multilateralen Institutionen von 19,6 % auf 15,7 % des BIP zurückgegangen.
Dagegen treten Nicht-Pariser-Club-Gläubigerländer vermehrt als Geber auf. Dazu gehören zum Beispiel China und Indien. Die Verschuldung von LIDCs gegenüber bilateralen Nicht-Pariser-Club-Gläubiger n ist zwischen 2007 und 2016 von 6,8 % auf 13,8 % des BIP gestiegen und hat sich damit verdoppelt. Im gleichen Zeitraum sind die Forderungen der Pariser-Club-Gläubiger gegenüber LIDCs von 7,4 % auf 2,2 % des BIP gefallen (siehe Tabelle 1). Damit betrug der Anteil der Forderungen der Pariser-Club-Gläubiger an den Gesamtforderungen gegenüber diesen Ländern 2016 nur noch 6 %, während der entsprechende Anteil der Nicht-Pariser-Club-Gläubiger auf 37 % anstieg. 2007 lagen die vergleichbaren Anteile hingegen noch bei 20 % beziehungsweise 19 %.
Der Pariser Club
ist ein 1956 gegründeter informeller Zusammenschluss von derzeit 22 wichtigen Gläubigerstaaten. Er schließt Umschuldungsvereinbarungen ab, um die Schuldentragfähigkeit in Ländern mit Zahlungsschwierigkeiten zu sichern. Weitere Informationen unter www.clubdeparis.org.
Maßnahmen seitens der Kreditnehmer zur Vermeidung von Überschuldung
Grundsätzlich gilt es, neue Schuldenkrisen in Niedrigeinkommensländern zu vermeiden. Die gemeinsamen Bemühungen von Gläubigern und Schuldnern sollten darauf abzielen, Schuldentragfähigkeit zu sichern.
Je resilienter eine Volkswirtschaft und je solider ihr Wirtschaftwachstum, desto weniger anfällig ist das Land für Überschuldung. Eine wichtige Rolle zur Vermeidung von Überschuldungen spielen dabei der Willen zu nachhaltigen politischen Maßnahmen und Reformen der betreffenden Regierung für eine wachstumsorientierte Politik und tragfähige öffentliche Finanzen, insbesondere zur Erhöhung der eigenen öffentlichen Einnahmen; dabei kommt in vielen Ländern auch der Eindämmung von Korruption und übermäßiger Bürokratie eine hohe Bedeutung zu.
Resilienz ist wichtig, um exogene Schocks wie beispielsweise abrupte Preisentwicklungen auf den internationalen Märkten abzufedern. Der Preiseinbruch an den Rohstoffmärkten 2012/2013 war z. B. ein wichtiger Faktor für die schwierige Lage vieler Rohstoffexporteure. Davon betroffen waren besonders die Republik Tschad, die Republik Kongo und Nigeria. Für rohstoffexportierende Länder kommt es daher besonders darauf an, ihre Volkswirtschaften nach Möglichkeit zu diversifizieren. Aber auch bei diversifizierten Exporteuren war eine Zunahme der Verschuldung zu beobachten.
Neben einer stärkeren Resilienz ist auch das Schuldenmanagement wichtig – und dabei auch Transparenz und Datenmanagement. Das Verschuldungsrisiko ist für Länder höher, wenn sie eine geringe Schuldentranzparenz aufweisen. Das erschwert etwa zu überprüfen, ob bei einer Kreditvergabe die Schuldenbegrenzungspolitiken von IWF und Weltbank eingehalten werden. Deshalb ist es wichtig, Entwicklungsländer mit entsprechendem Bedarf dabei zu unterstützen, ihre Kapazitäten zur Erstellung und Aufbereitung von Schuldendaten zu verbessern. Gerade IWF und Weltbank haben hier eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.
Die Herausforderung für die Entwicklungsländer, aber auch für die Geber ist es, Schuldentragfähigkeit mit den zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) notwendigen Investitionen in Einklang zu bringen (siehe Abbildung 4). Deswegen ist es auch unverzichtbar, Mittel des Privatsektors zur Finanzierung von notwendigen Investitionen gerade auch im Infrastrukturbereich zu mobilisieren. Wichtige Leitlinien hierfür geben die von den Finanzministerinnen und Finanzministern der G20 und der Notenbankgouverneurin und den Notenbankgouverneuren der G20 bei ihrem Treffen im Juni 2019 verabschiedeten „Prinzipien für Qualitätsinfrastrukturinvestitionen“. Die Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen Entwicklungspartnern und dem jeweiligen Land ist dabei ebenfalls von Bedeutung und sollte sich entlang der ebenfalls von den Finanzministerinnen und Finanzministern der G20 und den Notenbankgouverneurinnen und Notenbankgouverneuren der G20 kürzlich beschlossenen „Prinzipien für effektive Länderplattformen“ orientieren. Dabei ist die Ownership des Empfängerlandes besonders wichtig. Derzeit arbeiten afrikanische Länder, die sich der Compact-with-Africa-Initiative der G20 angeschlossen haben, bereits in sogenannten Compact Teams an einer Verbesserung der Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit und insbesondere an einer stärkeren Einbeziehung des Privatsektors.
Maßnahmen seitens der Geber zur Sicherung der Schuldentragfähigkeit
Maßnahmen zur Sicherung der Schuldentragfähigkeit werden von der G20 und im Pariser Club vorangetrieben und unterstützt. Der Fokus liegt u. a. auf mehr Schuldentransparenz, der Stärkung der Einnahmeseite durch die Mobilisierung von heimischen Ressourcen, der Implementierung internationaler Standards und der Einbindung neuer Geber. IWF und Weltbank fokussieren ihre Arbeiten zu Schuldentragfähigkeit innerhalb ihres mehrgleisigen Ansatzes („Multipronged Approach“) auf vier Pfeiler: verbesserte Schuldenanalysen/Frühwarnsysteme, höhere Schuldentransparenz, gestärkte Kapazitäten für das Schuldenmanagement und Überprüfung von Schuldenpolitiken. In ihrem für das Treffen der Finanzministerinnen und der Finanzminister der G20 und der Notenbankgouverneurin und Notenbankgouverneure der G20 in Fukuoka, Japan, am 8./9. Juni 2019 vorgelegten Bericht weisen IWF und Weltbank darauf hin, dass sie u. a. mehr technische Hilfe und Workshops zur Erhöhung der Schuldentransparenz anbieten werden. Außerdem haben sie bereits die Kapazitäten zur Erstellung und Aufbereitung von Schuldendaten in zehn Ländern verbessert.
Zudem arbeitet die internationale Gemeinschaft kontinuierlich an der Weiterentwicklung und Implementierung internationaler Standards. Schon während der G20-Präsidentschaft Deutschlands 2017 wurde die Schuldentragfähigkeit von einkommensschwachen Ländern thematisiert (siehe hierzu auch Monatsbericht des BMF November 20171). Das Ergebnis waren operative Leitlinien für Gläubiger- und Schuldnerländer für tragfähige öffentliche Finanzen – die „G20 Operational Guidelines for Sustainable Financing“, die Kreditnehmer und Kreditgeber zu verantwortungsvollem Handeln verpflichten. Im Rahmen der diesjährigen japanischen G20-Präsidentschaft fand eine freiwillige Selbstevaluierung von Gläubigerländern innerhalb und außerhalb der G20 bezüglich der Umsetzung dieser Leitlinien statt. Hierzu haben IWF und Weltbank erste Empfehlungen auf Basis der Antworten von 18 Ländern erarbeitet. Danach sollten die Gläubiger ihre Anstrengungen insbesondere bezüglich des Informationsaustauschs und der Transparenz sowie zur Sicherstellung konsistenter Verschuldungsgrenzen von IWF und Weltbank verstärken. Aber auch die privaten Gläubiger, vertreten durch das Institute of International Finance (IIF), haben freiwillige „Prinzipien zur Schuldentransparenz“ erarbeitet, die u. a. die Verantwortung des privaten Sektors bei der Vergabe von Krediten und die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Schuldengrenzen betonen. Die Prinzipien wurden ebenfalls beim G20-Treffen in Fukuoka vorgestellt.
Auf internationaler Ebene spielt zudem die Zusammenarbeit der Gläubigerländer im Pariser Club für den Informationsaustausch und die Transparenz eine wichtige Rolle. Diese Zusammenarbeit ist Grundlage für eine schnelle und effektive Bewältigung von Schuldenkrisen. Dabei kommt der verstärkten Zusammenarbeit des Pariser Clubs mit neuen Gläubigerländern eine besondere Bedeutung zu. So konnten Brasilien und Korea im Jahr 2016 als neue Mitglieder im Pariser Club begrüßt werden. Darüber hinaus beteiligen sich weitere wichtige Gläubigerländer wie China und Südafrika seit 2013 und Indien seit Anfang 2019 als „Ad-hoc“-Teilnehmer an den Diskussionen im Pariser Club. Deutschland wirbt für diese Arbeiten auch bilateral, beispielsweise im Rahmen des hochrangigen deutsch-chinesischen Finanzdialogs, zuletzt im Januar 2019 (siehe Monatsbericht des BMF Februar 20192).
Im Pariser Club wird auch an konzeptionellen Fragen gearbeitet, z. B. wie finanzielle Risiken etwa durch Naturkatastrophen wie Hurrikans für Schuldnerländer eingegrenzt werden können. 2015 wurde erstmals in einer Umschuldung mit Grenada eine sogenannte Hurrikan-Klausel vereinbart, wonach das Land nach solchen Ereignissen zukünftig die Möglichkeit hat, mit seinen Gläubigern eine weitere Schuldenentlastung auszuhandeln. Damit nimmt der Pariser Club auch Fragestellungen zur Gestaltung von Krediten auf, die eine kurzfristige Entlastung ohne dazu notwendige Verhandlungen zur Anpassung der Kreditbedingungen ermöglichen sollen, falls etwa ein Hurrikan das entsprechende Land schädigt (sogenannte klimaresiliente Kredite).
Schlussbemerkung
Die Verantwortung für tragfähige Verschuldung liegt sowohl beim Kreditgeber als auch beim Kreditnehmer. Eine Voraussetzung für die Vermeidung von Schuldenkrisen seitens der Kreditgeber ist eine offene und transparente Zusammenarbeit in bestehenden Foren, wie z. B. dem Pariser Club. Dabei spielen neue staatliche Geber und private Geber eine zentrale Rolle. Die Bundesregierung engagiert sich in den entsprechenden Foren und multilateralen Institutionen, um Kreditnehmerländer bei der Umsetzung für eine verantwortungsvolle Kreditaufnahme zu unterstützen und eine neue Schuldenkrise zu vermeiden.