- Die Hochrangige Arbeitsgruppe für Eigenmittel unter dem Vorsitz von Mario Monti hat in Brüssel ihren Abschlussbericht zur Überprüfung des Finanzierungssystems der Europäischen Union (EU) vorgelegt.
- Die Arbeitsgruppe würdigt in ihrem Bericht die Vorteile des bestehenden Eigenmittelsystems, fordert jedoch Reformen zur Finanzierung des EU-Budgets, die neben der Einnahmenseite des EU-Haushalts auch die Ausgabenseite einbeziehen.
- Schwerpunkt der Reformvorschläge sind Optionen für die Einführung steuerbasierter Eigenmittel, die durch ihre Ausgestaltung die politischen Ziele der EU-Politiken unterstützen sollen und an Tätigkeitsbereiche der EU anknüpfen, wie den gemeinsamen Binnenmarkt (z. B. Körperschaftsteuer) und den Bereich Energie/Umwelt (z. B. Stromsteuer).
- Das BMF begrüßt, dass die Monti-Gruppe die Vorteile des bestehenden Eigenmittelsystems anerkennt. Die von ihr vorgeschlagene Einführung neuer steuerbasierter Eigenmittelarten kann jedoch neue Verteilungsprobleme zwischen den Mitgliedstaaten schaffen. Das gegenwärtige Eigenmittelsystem könnte aus Sicht des BMF jedoch durch die Abschaffung der Mehrwertsteuereigenmittel und eine Vereinfachung des Rabattsystems weiter verbessert werden.
Anlass für die Einrichtung der Hochrangigen Arbeitsgruppe
Die Hochrangige Arbeitsgruppe Eigenmittel unter dem Vorsitz des früheren italienischen Premierministers und ehemaligen EU-Kommissars Mario Monti wurde vom Europäischen Parlament (EP), dem Rat und der EU-Kommission eingesetzt. Die übrigen neun Mitglieder wurden paritätisch von den drei EU-Institutionen benannt. Einer der drei vom Rat ernannten Mitglieder ist Prof. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts.
Die Einrichtung der Hochrangigen Arbeitsgruppe war Teil eines Kompromisses über den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2014 bis 2020. Laut Einsetzungsbeschluss sollte die Gruppe eine Überprüfung des EU-Finanzierungssystems durchführen und sich dabei an den Zielen der Einfachheit, Transparenz, Gerechtigkeit und demokratischer Rechenschaftspflicht orientieren. Bis zum Ende des Jahres 2016 sollte die Überprüfung abgeschlossen sein und Möglichkeiten zur Reform vorgeschlagen werden. Die Kommission wird ausgehend von den Ergebnissen dieser Arbeiten beurteilen, ob neue Eigenmittel-Initiativen angezeigt sind. Im Wesentlichen geht es bei den Reformdiskussionen um die seit Jahren vorgebrachte Forderung nach Einführung einer EU-Steuer zur Finanzierung des EU-Haushalts 2014 bis 2020.
Mehrjähriger Finanzrahmen
Mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen legen die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament für einen mindestens fünfjährigen Zeitraum jährliche Ausgabenobergrenzen für die einzelnen Politikbereiche fest. Derzeit läuft der Mehrjährige Finanzrahmen über eine Periode von sieben Jahren.
Das derzeitige Finanzierungssystem besteht aus drei Eigenmittelquellen:
- Die Traditionellen Eigenmittel (Zölle und Agrarabgaben), die die Mitgliedstaaten von den Wirtschaftsbeteiligten erheben und von denen sie 20 % für ihre Erhebung einbehalten dürfen.
- Die Mehrwertsteuereigenmittel (MwSt-Eigenmittel), die durch Anwendung eines bestimmten Abrufsatzes auf eine MwSt-Bemessungsgrundlage errechnet werden, die für jeden Mitgliedstaat nach EU-weiten einheitlichen Regeln bestimmt wird.
- Die BNE-Eigenmittel, deren Höhe proportional zum Bruttonationaleinkommen (BNE) jedes Landes ist. Mit den BNE-Eigenmitteln wird die Lücke zwischen dem Aufkommen der anderen Eigenmittel und dem Gesamtvolumen des EU-Haushalts geschlossen. Die BNE-Eigenmittel stellen mit 75 % die wichtigste Finanzierungsquelle der EU dar.
Bruttonationaleinkommen
ist die Summe der innerhalb eines Jahres von allen Bewohnern eines Staates (Inländern) erwirtschafteten Einkommen, unabhängig, ob diese im Inland oder Ausland erzielt wurden.
Abschlussbericht
Die Arbeitsgruppe kommt in ihrem Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass der EU-Haushalt sowohl auf der Ausgabenseite als auch auf der Einnahmenseite reformiert werden müsse, um die aktuellen Herausforderungen in der EU bewältigen zu können. Die vergangenen Krisen hätten gezeigt, auf welchen Politikfeldern ein Handeln der EU wichtig und notwendig sei, wie z. B. innere und äußere Sicherheit, der Kampf gegen den Klimawandel und Schaffung von Investitionen, die Arbeitsplätze und Wachstum fördern. Diese Herausforderungen erfordern nach Sicht der Arbeitsgruppe eine Reform der Finanzierungsseite, damit mit den eingesetzten Finanzmitteln den neuen Herausforderungen wirksam begegnet werden könne. Das bestehende Finanzierungssystem habe sich zu einem System entwickelt, das durch das Denken in nationalen Nettobeitragssalden der Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen über die Europäischen Haushaltsausgaben bestimmt werde. Die an die Mitgliedstaaten gehenden Zahlungen aus dem EU-Haushalt würden in den Vordergrund gerückt, die Vorteile der EU wie z. B. der Binnenmarkt, der Klimaschutz oder die äußere Sicherheit träten in den Hintergrund. Ein reformiertes Finanzierungssystem durch die Einführung neuer Eigenmittelquellen könne dazu beitragen, nicht nur neue Einnahmen für die Ausgaben zu generieren, sondern könne durch die Entfaltung von Lenkungswirkung auch dazu beitragen, die vordringlichen Ziele der EU besser zu erreichen.
Für die Ausgabenseite schlägt die Arbeitsgruppe vor, diese stärker auf den europäischen Mehrwert auszurichten. Finanziert werden sollen in erster Linie Aufgaben, die nicht auf nationaler Ebene gelöst werden können und für die ein Handeln auf EU-Ebene erforderlich sei, wie z. B. die Sicherung der Außengrenzen, Flüchtlingspolitik oder Klimaschutz.
Ein wichtiges Ziel der Reform ist eine Erhöhung des Anteils der Einnahmen, die durch steuerbasierte Eigenmittel finanziert werden. Bei diesen Eigenmitteln handele es sich nicht um eine originäre EU-Steuer mit einer Rechtsetzungskompetenz und Ertragshoheit auf EU-Ebene. Vielmehr gehe es um einzuführende oder bestehende Steuern in den Mitgliedstaaten, die ganz oder teilweise als Finanzierungsquelle in das existierende Eigenmittelsys-tem einbezogen werden sollen. Hierzu bedürfe es eines einstimmigen Beschlusses der Mitgliedstaaten. Da die Einnahmen neuer steuerbasierter Eigenmittelquellen nicht ausreichen würden, die Ausgaben zu 100 % zu finanzieren, sollen die BNE-Eigenmittel nach Auffassung der Arbeitsgruppe mit ihrer Auffüllfunktion erhalten bleiben.
Während ihrer Tätigkeit hat die Arbeitsgruppe verschiedene potenzielle neue Eigenmittelquellen untersucht. Ihre Vorschläge umfassen die Mehrwertsteuer, die Körperschaftsteuer, verschiedene Optionen für eine Energiesteuer und die Finanztransaktionsteuer. Diese Eigenmittelquellen sollen nicht nur zur Finanzierung des EU-Haushalts dienen, sondern sollen durch ihre Ausgestaltung auch dazu beitragen, die Ziele der europäischen Politiken zu unterstützen und damit einen stärkeren europäischen Mehrwert generieren. Aufgrund der Unterschiede hinsichtlich Verteilungswirkung und Steueraufkommen gibt die Arbeitsgruppe keine Empfehlung für eine dieser Steuern.
Die Nettosaldendiskussion wird von der Arbeitsgruppe kritisiert. Diese Diskussion sei zu eng, um Kosten und Nutzen der EU-Tätigkeit zu messen. Dieser Ansatz berücksichtige nicht die realen Kosten und Vorteile für die Mitgliedstaaten. Er basiere lediglich auf den Zahlungsströmen aus den nationalen Haushalten. Die Vorteile der Ausgaben und die damit verbundenen Investitionsleistungen aus dem privaten Sektor würden nicht mitberücksichtigt. Es sollten daher Indikatoren entwickelt werden, die den europäischen Mehrwert der EU-Ausgaben umfassender als bisher abbilden.
Die Arbeitsgruppe legt dar, dass mit der Einführung neuer Eigenmittelquellen das Haushaltsvolumen nicht ansteige. Neue Eigenmittel würden lediglich einen Teil der BNE-Eigenmittel ersetzen, sodass der Anteil der BNE-Eigenmittel an der Finanzierung der EU-Ausgaben zurückgehen würde. Die Mitgliedstaaten würden auch weiterhin einstimmig darüber entscheiden, ob Teile des Aufkommens einzelner Steuern zur Finanzierung des EU-Haushalts beitragen sollen.
Gewürdigt werden in dem Bericht auch die Vorteile des bestehenden Systems, nämlich ein stets ausgeglichener Haushalt. Dieser Ausgleich wird über die Auffüllfunktion der BNE-Eigenmittel erreicht. Mit den BNE-Eigenmitteln wird die Lücke zwischen den anderen Eigenmitteln (Zölle und MwSt-Eigenmittel) und dem Gesamtvolumen des EU-Haushalts geschlossen. Eine Verschuldungsmöglichkeit gibt es nicht und sie sei auch nicht erforderlich.
Schlussfolgerungen aus dem Abschlussbericht
Die im Abschlussbericht gesetzten Schwerpunkte der Arbeitsgruppe zeigen deutlich, dass es der Hochrangigen Arbeitsgruppe für Eigenmittel vorrangig um die Einführung einer EU-Steuer geht. Die Arbeitsgruppe gesteht selber ein, dass sie die Reform der Ausgabenseite nur deshalb thematisiert, um in einem Gesamtpaket bei der Einnahmenseite Zugeständnisse der Mitgliedstaaten zu erreichen. Im Rahmen des bestehenden Eigenmittelsystems können die Vorschläge der Arbeitsgruppe aber keinen zusätzlichen Finanzierungsspielraum eröffnen. Aus Sicht des BMF dürfte das vehemente Eintreten von EU-Kommission und EP für die Einführung einer EU-Steuer daher eher politisch motiviert sein und auf Ausweitung und Stärkung ihrer Kompetenzen auf europäischer Ebene abzielen.
Die Arbeitsgruppe weist darauf hin, dass mit dem angekündigten Austritt des Vereinigten Königreichs auch der „Britenrabatt“ entfallen würde. Dies eröffne für die nächste Finanzierungsperiode die Chance, das Rabattsystem zu überprüfen und die gegenwärtigen statistisch basierten MwSt-Eigenmittel, an die bisher der „Britenrabatt“ geknüpft war, durch reformierte MwSt-Eigenmittel zu ersetzen.
Prof. Clemens Fuest – auf deutsche Initiative von der Ratsseite nominiert und einziger wissenschaftlicher Experte der Gruppe – teilt die Mehrheitsmeinung der Arbeitsgruppe nicht und sieht in der Einführung neuer steuerbasierter Eigenmittel keine Vorteile, sondern nur Nachteile. Er spricht sich im Abschlussbericht für die Abschaffung der MwSt-Eigenmittel aus. Diese sollten durch BNE-Eigenmittel ersetzt werden. Zudem fordert er eine Vereinfa-chung des Rabattsystems. Die Bundesregierung hat sich in ihrer Stellungnahme zur Revision des MFR ebenfalls für eine Vereinfachung des bestehenden Eigenmittelsystems ausgesprochen und eine Abschaffung der MwSt-Eigenmittel gefordert. Auf der Einnahmenseite sieht die Bundesregierung keinen Bedarf für die Einführung steuerbasierter Eigenmittel. Das gegenwärtige Eigenmittelsystem gewährleistet eine faire Lastenteilung über die BNE-Eigenmittel, die sich an der Wirtschaftskraft orientieren. Neue steuerbasierte Eigenmittel würden dieses Gleichgewicht gefährden, da sie die Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten ändern würden.
Aus Sicht des BMF ist an dem Bericht positiv hervorzuheben, dass zum ersten Mal in der Diskussion über die Reform der Einnahmenseite auch die Ausgabenseite in die Reformüberlegungen einbezogen und die Vorteile des gegenwärtigen Eigenmittelsystems gewürdigt wurden. Der europäische Haushalt bedarf einer besseren Prioritätensetzung auf der Ausgabenseite. Dies sieht auch die Monti-Gruppe so.
Der Abschlussbericht kann zur Reform der Finanzierungsseite des EU-Haushalts allerdings keine neuen Erkenntnisse liefern. Wie auch in anderen vorliegenden Studien und Vorschlägen der EU-Kommission und des EP wird nicht dargelegt, was an der gegenwärtigen Finanzierung des EU-Haushalts nicht funktioniert und wo Reformbedarf besteht, der nur durch die Einführung von neuen steuerbasierten Eigenmitteln gelöst werden kann.
Eine Steuerfinanzierung des EU-Haushalts würde aus Sicht des BMF nicht dazu führen, dass die EU bei der Finanzierung des EU-Haushalts von den Mitgliedstaaten unabhängiger werden würde. Die Zuständigkeit für die Gestaltung des Eigenmittelsystems liegt beim Rat. Und daran will auch die Arbeitsgruppe nichts ändern. Die fiskalische Souveränität der Mitgliedstaaten soll bei Reformen des Eigenmittelsystems gewahrt bleiben. Eine vollständige Umstellung auf die Finanzierung durch eigene Steuern, die nicht mehr der Zustimmung aller Mitgliedstaaten bedürfen, ist auf der Grundlage der bestehenden Verträge nicht möglich und wäre nur durch eine Vertragsänderung zu erreichen.
Die Argumentation, dass die Bewältigung neuer Krisen wie Klimaschutz, Migration oder die Sicherung der Außengrenzen die Erschließung neuer Eigenmittelquellen erforderlich macht, mag einleuchtend klingen, ist aber im Eigenmittelsystem der EU nicht richtig, da beim EU-Haushalt kein Finanzierungsdefizit entstehen kann. Die Mitgliedstaaten haben sich über den Eigenmittelbeschluss verpflichtet, alle beschlossenen Ausgaben des EU-Haushalts zu finanzieren. Durch die Einführung neuer Eigenmittelquellen würde der Finanzierungsspielraum nicht erhöht, es würde sich lediglich die Eigenmittelstruktur ändern.
Auch die von der Arbeitsgruppe beklagte Nettosaldendiskussion kann keine Einführung neuer steuerbasierter Eigenmittel rechtfertigen. Die Hoffnung, durch die Einführung neuer steuerbasierter Eigenmittel die Verteilungskämpfe zu überwinden, kann sich nicht erfüllen. Unabhängig von der Art der Finanzierung des EU-Haushalts bleibt der Anreiz der Mitgliedstaaten bestehen, möglichst hohe Rückflüsse zu erstreiten. Diese Sichtweise lässt sich nur überwinden, wenn mehr Ausgaben getätigt werden, die einen europäischen Mehrwert haben. Eine Reform der Ausgabenseite in diesem Sinne ist wünschenswert und sollte vorangetrieben werden. Eine solche Reform kann aber unabhängig von einer Reform der Einnahmenseite durchgeführt werden.
Ausblick auf den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen
Der Vorsitzende der Hochrangigen Arbeitsgruppe Eigenmittel hat am 27. Januar 2017 den Abschlussbericht im ECOFIN-Rat vorgestellt. In der sich anschließenden Diskussion wurde von etlichen Mitgliedstaaten das bestehende Eigenmittelsystem gelobt, aber auch Raum für Vereinfachungen gesehen. Nach Ansicht vieler Mitgliedstaaten wird Reformbedarf auf der Ausgabenseite gesehen. Der Vorschlag, über die Einführung zusätzlicher Einnahmequellen EU-Sachpolitiken zu unterstützen, fand sowohl Befürworter wie auch Kritiker.
Der Bericht der Hochrangigen Arbeitsgruppe für Eigenmittel hat keine unmittelbare Rechtswirkung. Es ist davon auszugehen, dass die EU-Kommission in ihren Vorschlägen für einen neuen Eigenmittelbeschluss im Rahmen des MFR post 2020 die Empfehlungen der Hochrangigen Arbeitsgruppe berücksichtigen wird. Die Vorschläge werden für Ende 2017 erwartet. Der neue EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat sich in ersten Ankündigungen für „eine gewisse Aufstockung“ des gemeinsamen Budgets der EU ausgesprochen, dies sei durch die Flüchtlingskrise und andere gesamteuropäische Herausforderungen gerechtfertigt. Auch Deutschland fordert eine bessere finanzielle Ausstattung prioritärer Bereiche. Dies soll aber möglichst durch Umschichtungen erreicht werden. Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble hat wiederholt gefordert, dass der EU-Haushalt die Herausforderungen der Gegenwart widerspiegeln muss, statt die politischen Prioritäten der Vergangenheit zu finanzieren.