- Die Digitalisierung im Finanzsektor führt zu schnell wachsenden, breiten Anwendungsmöglichkeiten, die mit großen Chancen für das Finanzsystem, die Realwirtschaft und die Gesellschaft verbunden sind, aber auch mit möglichen Risiken.
- Eine im Rahmen der G20-Präsidentschaft Deutschlands von der Deutschen Bundesbank und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) veranstaltete Konferenz hat die zahlreichen Facetten des Themas beleuchtet.
- Bildung auf breiter Basis wird eine entscheidende Rolle dabei zukommen, die aus digitalen Innovationen resultierenden Chancen zu nutzen sowie die mit ihnen verbundenen Risiken einzuschätzen und zu kontrollieren. Nicht zuletzt deshalb gehört auch eine Verbesserung der finanziellen Bildung (Financial Literacy) zu den Schwerpunkten der deutschen G20-Präsidentschaft.
Digitalisierung gestalten: Chance und Herausforderung (auch) für die G20
Das Thema Digitalisierung zählt zu den finanzpolitischen Schwerpunkten der deutschen G20-Präsidentschaft. Digitalisierung im Finanzsektor findet bereits seit vielen Jahren statt, fortentwickelte Nutzungsmöglichkeiten des Internets und neue digitale Technologien führen aber zu immer schneller wachsenden Anwendungsmöglichkeiten. Weltweit ergeben sich hieraus enorme Chancen für das Finanzsystem, die Realwirtschaft und die Gesellschaft. Die G20 kann und soll die Entwicklung hin zu einer immer stärker vernetzten Welt verantwortungsvoll mitgestalten, da nur so die Potenziale der Digitalisierung voll genutzt und ihre Risiken begrenzt werden können. Ziel der zu diesem Thema von der Deutschen Bundesbank und dem BMF veranstalteten G20-Konferenz im Schloss Biebrich in Wiesbaden war es, die zahlreichen Facetten des Themas einschließlich ihrer Wechselwirkungen miteinander besser zu verstehen und die Arbeiten unter deutscher G20-Präsidentschaft durch Expertenwissen zu untermauern.
Der Titel der Konferenz „Digitising finance, financial inclusion and financial literacy“ skizziert bereits die Reichweite des Themas. Bundesbankpräsident Dr. Jens Weidmann verwies in seinen einleitenden Bemerkungen auf den Zusammenhang der einzelnen Themenschwerpunkte und auf die Verantwortung von Politik, Regulierungs- und Aufsichtsbehörden, geeignete Rahmenbedingungen für digitale Technologien im Finanzsektor und digitale Finanzdienstleister zu setzen. Die Eröffnungsrede hielt Ihre Majestät Königin Máxima der Niederlande, Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für finanzielle Inklusion und Entwicklung und Ehrenvorsitzende der Globalen Partnerschaft für finanzielle Inklusion (Global Partnership for Financial Inclusion). Sodann tauschten sich über 250 Gäste aus dem In- und Ausland zu Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft aus, unter ihnen der australische Finanzminister, der Honorable Scott Morrison, der stellvertretende Premierminister Singapurs, Tharman Shanmugaratnam, der Gouverneur der Bank of England, Dr. Mark Carney, der Präsident der Schweizerischen Nationalbank, Prof. Thomas Jordan, und der Bundesminister des Inneren, Dr. Thomas de Maizière. Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble nahm gemeinsam mit Prof. Hasso Plattner, Vorsitzender des Aufsichtsrats und Gründer der SAP AG, an einer moderierten Diskussion teil. Auch das Fachpublikum beteiligte sich interaktiv über Tablets an diesem intensiven Austausch, der am 26. Januar 2017 durch acht Workshops und Dialoge mit Industrie und Wissenschaft ergänzt wurde.
Finanzinnovation durch „FinTech“: Was ist hier neu?
Enorme Fortschritte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie eröffnen neue Möglichkeiten der Entwicklung und Verbreitung von Finanzdienstleistungen.
Digitale Finanzdienstleistungen und insbesondere die sogenannte FinTech-Branche verzeichnen seit einigen Jahren ein sehr schnelles Wachstum, zu dem sowohl angebots- als auch nachfrageseitige Kräfte beitragen. Auf der Angebotsseite spielt der technologische Fortschritt eine wichtige Rolle, ebenso wie die Bemühungen, die Kosten für Finanzdienstleistungen zu senken. Verstärkt werden diese Faktoren durch wachsende Verfügbarkeit von Informations- und Kommunikationstechnologie-Infrastruktur, die Bereitstellung neuartiger Zugangspunkte zu Finanzdienstleistungen wie Mobiltelefone und die wachsende Anzahl an Personen, die sehr früh digitale Nutzungserfahrung erworben haben oder gar gänzlich in der digitalisierten Welt aufgewachsen sind: die sogenannten Digital Natives.
Die Nachfrageseite wird immer mehr geprägt von Kunden, die ununterbrochen online sind und zunehmend erwarten, dass sie ihre Bankgeschäfte mit minimalem Aufwand jederzeit und überall erledigen können. Diese Kunden, ihre Erwartungen und ihr Verhalten wurden auch von vielen Konferenzteilnehmern als wesentlicher Treiber für die Entwicklungen im Zuge der Digitalisierung des Finanzsektors gesehen.
Fintech
Ein abschließendes Verständnis des Begriffs „FinTech“ hat sich bislang nicht herausgebildet. Er setzt sich aus den Worten „Financial Service“ und „Technology“ zusammen. Unter FinTechs werden weithin junge, innovative Unternehmen verstanden, die ihre Dienstleistungen im Finanzbereich auf Basis technologischer Neuerungen anbieten. FinTechs treten teils in Konkurrenz zu hergebrachten Finanzdienstleistern, kooperieren teils mit ihnen und komplettieren deren Produktpalette.
Auf der Konferenz wurde teilweise die Auffassung vertreten, dass die Digitalisierung das Potenzial habe, den Finanzdienstleistungssektor und dessen Infrastruktur zu „revolutionieren“. So schrieben etwa viele Teilnehmer der Workshops insbesondere der sogenannten Distributed-Ledger - oder Blockchain -Technologie große potenzielle Auswirkungen auf die internationale Finanzmarkt-Infrastruktur zu.
Distributed-Ledger und Blockchain
Unter Distributed-Ledger ist ein öffentliches, dezentral geführtes Kontobuch zu verstehen. Es ist die technologische Grundlage virtueller Währungen und dient dazu, im digitalen Zahlungs- und Geschäftsverkehr Transaktionen von Nutzer zu Nutzer aufzuzeichnen, ohne dass es einer zentralen Stelle bedarf, die jede einzelne Transaktion legitimiert. Blockchain ist der Distributed-Ledger, welcher der virtuellen Währung Bitcoins zugrunde liegt.
In der Tat scheint sich die Distributed-Ledger-Technik, die als Technologie bekannt wurde, auf der die virtuelle Währung Bitcoin basiert, als ein Instrument mit einem großen Nutzungsspektrum zu entpuppen, mit deren Möglichkeiten sich aktuell viele Marktteilnehmer und auch Aufsichtsbehörden und Zentralbanken in (noch) experimentellen Forschungsprojekten befassen.
Virtuelle Währungen
sind kryptografische, also verschlüsselte Ersatzwährungen, mit denen im Internet inzwischen Waren, Dienstleistungen und IT-Anwendungen bezahlt werden können.
Technologie als Chance für das Finanzsystem und die Realwirtschaft
Mit der Digitalisierung des Finanzsektors eröffnet sich ein breites Spektrum an Möglichkeiten. Bereits aus wirtschaftlicher Sicht birgt die Digitalisierung der Finanzmärkte ein hohes Nutzenpotenzial. Digitale Finanzdienstleistungen können zu deutlichen Effizienzsteigerungen führen. Zudem kann die Digitalisierung den Wettbewerb innerhalb des Finanzsystems erhöhen. So bietet die Digitalisierung auch Neulingen die Chance, sich gegen etablierte Akteure zu behaupten, indem sie sich ihre technologische Expertise konsequent zu Nutze machen. Schließlich kann Technologie den Zugang zu Finanzdienstleistungen sowohl für Privatkunden als auch für Unternehmen der Realwirtschaft zum Teil erheblich erleichtern – beispielsweise kann heute bereits ein Mobiltelefon als Zugangskanal zu Finanzdienstleistungen ausreichen.
Datenbasierte Technologien können auch die Transparenz des Finanzsystems erhöhen und auf diese Weise Informationsasymmetrien verringern. So wird es z. B. durch Big-Data-Analysen möglich, Ausfallrisiken auch ohne das Bestehen einer langjährigen Beziehung zwischen Geschäftsbank und Kunden besser einzuschätzen.
Mit Hilfe von Online-Plattformen für Schwarmfinanzierung (Crowdfunding) oder Kreditvergabe zwischen Nichtbanken (Peer-to-Peer Lending) lassen sich so möglicherweise Investitionsvorhaben realisieren, die den traditionellen Banken zu riskant oder zu klein wären. Auch in dem im Rahmen der Konferenz durchgeführten Industrie-Dialog zu „Crowdfunding and Peer-to-peer lending – Potential benefits and risks“ wurden Beispiele für eine Erhöhung der Anzahl von Projekten genannt, für die auf diese Weise eine Finanzierung erreicht wurde beziehungsweise werden könnte. Um den größtmöglichen Nutzen aus digitalen Innovationen zu ziehen, müssen einerseits ihre Chancen aktiv wahrgenommen und anderseits die damit einhergehenden Risiken eingedämmt werden.
Crowdfunding
auch Schwarmfinanzierung genannt, ist eine Finanzierungsform, die in der Regel über Internetplattformen erfolgt und im Wesentlichen in vier Marktsegmente untergliedert wird:
- Spendenbasiertes Crowdfunding: Das Publikum spendet in einem bestimmten Zeitraum für ein konkretes Projekt Geld, ohne hierfür eine Gegenleistung zu erhalten.
- Gegenleistungsbasiertes Crowdfunding: Die Geldgeber erhalten eine symbolische, nicht-monetäre Gegenleistung, wie beispielsweise die Nennung ihres Namens im Abspann eines mitfinanzierten Films.
- Crowdinvesting (Equity Based Crowdfunding): Der Geldgeber erhält eine Beteiligung an zukünftigen Gewinnen des finanzierten Projekts oder, wenn das Investment mit Wertpapieranlagen verbunden ist, Anteile oder Schuldinstrumente.
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Crowdlending (Kreditbasiertes/Lending Based Crowdfunding): Die Geldgeber erhalten das Versprechen, dass ihnen der Betrag mit oder ohne Zinsen zurückgezahlt wird.
Die ersten beiden Marktsegmente werden oft auch unter dem Begriff „Crowdsponsoring“ zusammengenommen.
Verbesserter Zugang zu Finanzdienstleistungen (Financial Inclusion)
Innovative Technologien und Finanzierungsformen können den Zugang zu Zahlungsdiensten (z. B. mobile Zahlungen), Krediten (z. B. Peer-to-Peer-Kredite) oder Eigenkapital (z. B. Crowdinvesting) insbesondere auch für Verbraucher und kleine und mittlere Unternehmen erleichtern. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern eröffnen sie zudem Möglichkeiten, Bevölkerungsgruppen einzubinden, die bisher vom Finanzsystem ausgeschlossen waren; dies gilt z. B. für Zahlungen und Überweisungen über das Smartphone. Auch wenn die Verfügbarkeit von Smartphones oder ein Internetzugang zu Hause immer noch nicht überall gegeben ist (Abbildung 1), so verbreiten sich diese Technologien mittlerweile sehr schnell. Damit tragen sie gerade in Gegenden, die mit Blick auf traditionelle Finanzdienstleister unterversorgt sind, dazu bei, die Bevölkerung auf breiter Basis an der Entwicklung teilhaben zu lassen.
In ihrer Eröffnungsrede zur Konferenz betonte Königin Máxima der Niederlande insbesondere die Bedeutung des Zugangs zu Finanzdienstleistungen für kleine und mittlere Unternehmen, die weltweit 90 % aller Unternehmen ausmachen und 50 % aller Arbeitsplätze bereitstellen. Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble hob im Gespräch mit Prof. Hasso Plattner hervor, dass die große Chance der Digitalisierung vor allem darin bestehe, Menschen in Afrika Zugang zu Finanzdienstleistungen und damit auch zu neuen wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen. Digitalisierung könne dazu beitragen, die Entwicklung und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken. Es gehe hierbei nicht nur um technologische Bildung, sondern auch um die generelle Fähigkeit unserer Gesellschaften, sich mit neuen, fremd erscheinenden und komplexen Zusammenhängen konstruktiv auseinanderzusetzen. Auch hierfür stehe die internationale Zusammenarbeit im Rahmen der G20. Prof. Hasso Plattner betonte, dass Entwicklungsländer durch die Digitalisierung die Chance haben, Entwicklungsstufen zu überspringen.
Der Workshop „Digitising finance and financial inclusion – opening up of opportunities and cushioning of hazards“ setzte an den „High Level Principles of Digital Financial Inclusion“ an, die unter chinesischer G20-Präsidentschaft verabschiedet wurden. Hier wurde festgestellt, dass digitale Technologien in den kommenden Jahren entscheidend zur Verbesserung des Zugangs zu Finanzdienstleistungen beitragen könnten. Allerdings könnte eine unkontrollierte Ausweitung des Zugangs zu Finanzdienstleistungen, insbesondere zu Krediten, auch eine destabilisierende Wirkung entfalten. Diese Gefahr sei insbesondere dann gegeben, wenn Aufsicht, Regulierung und Verbraucher mit der Identifizierung und Bewältigung der mit Entwicklung neuer Finanzdienstleistungen ebenfalls verbundenen finanziellen Risiken nicht Schritt hielten. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte diskutierten die Teilnehmer erfolgreiche Beispiele für den digitalen Zugang zu Finanzdienstleistungen. Ebenfalls erörtert wurden Möglichkeiten der Einrichtung eines Peer-to-Peer Austauschs mithilfe innovativer digitaler Medientechnologien.

Finanzielle Bildung (Financial Literacy) als Schlüsselfaktor für Inklusion
Der Workshop „Digitising finance and financial literacy – growing importance in a digital landscape and a low interest rate environment“ befasste sich mit den Herausforderungen der Digitalisierung von Finanzdienstleistungen für Verbraucher und Anleger. Zusätzliche Qualifikationen und Kompetenzen sind erforderlich, um diese Dienstleistungen effektiv und verantwortungsvoll nutzen zu können. Die Digitalisierung bietet dabei Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Instrumente zur Verbesserung des finanzspezifischen Wissens. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, adäquate Daten zur Verfügung zu haben, mit denen die Wirksamkeit und Auswirkungen sogenannter Financial-Literacy-Programme beurteilt werden können. Eine solche Datenbasis wird durch die Ergebnisse der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)/International Network on Financial Education (INFE)-Umfrage zu finanzieller Allgemeinbildung bei Erwachsenen zur Verfügung gestellt. Der standardisierte Fragebogen dieser Umfrage wurde bereits in über 50 Ländern eingesetzt. Durch die Umfrage stehen vergleichbare Daten zu den drei Komponenten der finanziellen Allgemeinbildung zur Verfügung, nämlich Wissen, Einstellung und Verhalten. Während der deutschen G20-Präsidentschaft wird die OECD in Absprache mit der Deutschen Bundesbank auf Grundlage dieses Fragebogens einen Bericht über die finanzielle Allgemeinbildung in den G20-Ländern erstellen und veröffentlichen. Auch für Deutschland wurden hier Daten erhoben.
Die Stichprobe der Umfrage umfasst mindestens 1.000 Erwachsene pro Land, deren Alter zwischen 18 Jahren und 79 Jahren liegt. Die 30 Fragen beziehen sich auf das Verhalten, die Einstellung und das Wissen im Bereich Finanzen, die Auswahl und Verwendung von Finanzprodukten, die langfristige Finanzplanung (einschließlich Altersvorsorge), die finanzielle Situation und sozio-ökonomische Informationen. Üblicherweise wird diese Umfrage mittels eines Telefoninterviews oder als persönliche Befragung durchgeführt, gegebenenfalls auch als Internetbefragung. Die jeweils national erhobenen Daten erlauben durch die Standardisierung der Fragen und der genauen Methoden- und Vorgehensbeschreibung des Toolkits eine vergleichende Studie über den Stand der finanziellen Bildung in den teilnehmenden G20-Ländern.
Finanzielle Bildung war auch ein Schwerpunkt der Rede des stellvertretenden Premierministers und Ministers für die Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik von Singapur, Tharman Shanmugaratnam. Singapur ist nicht nur in internationalen Vergleichen zur schulischen Bildung ganz vorne, sondern gilt auch im Hinblick auf finanzielle Bildung weltweit als eines der fortschrittlichsten Länder: Hier ist finanzielle Bildung sogar in Grundschulen Teil des Lehrplans.
Risiken digitaler Innovation – Herausforderung für Nutzer und Aufseher
Den Chancen der Digitalisierung stehen auch Risiken gegenüber, die es nach einhelliger Ansicht adäquat zu adressieren gilt. Diese Thematik wurde insbesondere im Workshop „Digital finance – regulatory challenges“ angesprochen, in dem Aufseher, Zentralbanker, FinTech-Vertreter und Akademiker die regulatorische Behandlung von Risiken digitaler Finanzinnovationen diskutierten.
Trotz der heterogenen Natur von FinTechs ergaben sich zwischen den Vertretern der Stabilitäts-, Wettbewerbs- und Verbraucherschutzperspektiven im Workshop übergreifende Diskussionspunkte. Einigkeit schien z. B. so weit zu bestehen, als regulatorische Ansätze die Entwicklung und Chancen der digitalen Technologien zwar nicht behindern dürfen, aber auch die damit einhergehenden Risiken nicht unbeherrschbar wachsen lassen sollten. Welche Konsequenzen aus diesem prinzipiellen Zielkonflikt darüber hinaus gezogen werden sollten, wurde jedoch unterschiedlich beurteilt. Während manche Teilnehmer „regulatorische Sandkästen“ für nützlich hielten, um z. B. bei Finanzinnovationen die Wirkung neuer Regulierungen zu testen, befürworteten dies andere nur teilweise (z. B. nur für automatisierte Anlageberatung) oder sprachen sich ganz dagegen aus. Ein wachsames Monitoring sowie ein permanenter Austausch über neuere Entwicklungen wurden jedoch allgemein als Grundpfeiler regulatorischer Ausrichtung angesehen. Zudem gingen alle Sprecher von der Notwendigkeit eines Prozesses aus, bei dem es darauf ankomme, angesichts der heterogenen Entwicklung der Märkte und der regulatorischen Ansätze voneinander zu lernen.
Zur Frage nach der Notwendigkeit aktiver staatlicher Einflussnahme auf technische Neuerungen sprachen sich deutsche Vertreter für eine insgesamt neutrale Rolle des Staates in Bezug auf technologische Entwicklungen aus. Regulierung und Aufsicht orientiere sich in Deutschland an dem Grundsatz „gleiches Geschäft, gleiche Risiken, gleiche Regeln“. Es gebe bislang insoweit keinen Bedarf, die deutsche Regulierung kurzfristig zu ändern. Man prüfe aber derzeit, inwieweit FinTechs zyklische „Abschwünge“ verkraften oder ob durch zu starke Verbundenheit von FinTechs Risiken entstehen könnten. Von akademischer Seite wurde teilweise eine aktivere Rolle staatlicher Stellen im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Technologien befürwortet. Die Kooperation von Aufsehern und Unternehmen bei der Entwicklung neuer Technologien, vor allem wenn es um die Erschaffung von Infrastruktur bei Zahlungssystemen gehe, sei nichts Neues.
Im Fokus der weiteren Betrachtung standen mögliche Fehlanreize, Parallelen zu früheren Produkten mit Gefährdungspotenzial und die Gefahr aufsichtsrechtlicher Ungleichbehandlung:
Als Beispiel wesentlicher Fehlanreize bei internetbasierten Kreditplattformen wurde die Kreditvergabe „per Auktion“ (Peer-to-Peer Lending) genannt. Überböten sich Anleger für die Möglichkeit, einem Kreditnehmer Geld zu geben, könne dies dazu führen, dass immer derjenige gewinne, der die Ausfallrisiken besonders optimistisch einschätze („Winner’s Curse“) und deswegen die geringsten Zinsen verlange. Allerdings böten manche Peer-to-Peer-Lending-Unternehmen den Kunden genau deswegen auch eine Einschätzung bezüglich der Ausfallrisiken an und rieten zur Diversifikation.
Ein weiteres mögliches Risiko wurde aufgrund der Ähnlichkeiten mancher Crowdfunding-Geschäftsmodelle mit Strukturen der Verbriefung von Immobilienkrediten, sogenannten Asset Backed Securities (ABS), gesehen: Während bei ABS von der emittierenden Bank ein Selbstbehalt eines Teils der Risiken verlangt würde, sei das bei Crowdfunding derzeit (noch) nicht der Fall. Einige Teilnehmer hielten es für möglich, dass sich dadurch schnell Risiken aufbauen können. Auch generell habe das Tempo des Aufbaus von Risiken insbesondere auf den asiatischen Märkten erheblich zugenommen. Der Übergang von „too small to matter“ zu „too big to fail“ könne inzwischen in wenigen Monaten erfolgen, wie man am rasanten Aufstieg asiatischer FinTechs sehen könne.
Ein Risiko aufgrund aufsichtsrechtlicher Ungleichbehandlung sahen die Diskussionsteilnehmer bei digitalen Anlageberatern, den sogenannten RoboAdvisors, die anders als konventionelle Anlageberater vielfach keinen Zulassungsregeln unterlägen, auch wenn sie durchaus auch für RoboAdvisors sinnvoll sein könnten. Hinsichtlich zukünftiger Anforderungen an die Aufsicht herrschte Einigkeit darüber, dass die Aufseher zukünftig auch beziehungsweise noch mehr Expertise in IT und Programmierung brauchen werden, um beispielsweise die Risiken eines RoboAdvisors einschätzen zu können. Gewarnt wurde jedoch vor zu hohen Erwartungen, da die Möglichkeiten zur Beeinflussung von Algorithmen sehr vielfältig und damit auch für Aufseher selbst mit erheblicher IT-Expertise schwer zu entdecken seien.
RoboAdvice
betrifft digitale Kundenberatung, während Auto-Trading-Plattformen den entsprechenden Handelsservice anbieten. Bei einem RoboAdvice beantworten Kunden einen internetbasierten Fragenkatalog, in dem sie dem Anbieter Auskunft über ihre persönlichen Umstände, ihre Anlageziele sowie anlagerelevante Kenntnisse und Handelserfahrungen geben. Basierend darauf erstellt ein Algorithmus einen Anlagevorschlag, ein Musterportfolio oder eine Anlageempfehlung. Der Grad der Standardisierung kann dabei zwischen verschiedenen Plattformen variieren. Teils kann der Anlagevorschlag auch auf den Plattformen selbst nach einer Registrierung und Eröffnung eines Wertpapierdepots umgesetzt werden.
Risiken systemischer Größenordnung von FinTechs würden derzeit von einer Expertenarbeitsgruppe des internationalen Finanzstabilitätsrats, Financial Stability Board (FSB), geprüft. Bei Universalbanken könnten potenzielle Gefährdungsaspekte der Finanzstabilität u. a. in folgender Hinsicht bestehen:
- im Bereich der Zahlungsdienste durch Digital Wallets, eMoney und grenzüberschreitende Zahlungen neue Risikokonzentrationen,
- im Bereich der Kundenbeziehung (Einlagengeschäft) durch Aggregatoren, Vergleichsportale und RoboAdvices höhere Volatilitäts- und Liquiditätsrisiken,
- im Privatkundengeschäft und Commercial Banking durch Peer-to-Peer Lending stärkere Prozyklizität,
- im Firmenkundengeschäft bei der durch Hochfrequenzhandel und den Einsatz von Algorithmen gestörte Marktfunktion,
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sowie bei der Abwicklung („Clearing and Settlement“) durch „Distributed-Ledger“-Risiken bei Infrastrukturanbietern, operationelle sowie Cyberrisiken (vergleiche Abbildung 2).
eMoney
ist eine neben dem Zentralbankgeld und dem Buchgeld der Banken dritte, relativ neue Erscheinungsform des Geldes.
FinTech-Innovationen müssten daher in Bezug auf Zuverlässigkeit, Widerstandsfähigkeit, Datenschutz und Skalierung höchsten Ansprüchen genügen.
Teilweise wurde daraus die Notwendigkeit einer Anpassung regulatorischer Ansätze gefolgert: „Regulatorische Sandkästen“ könnten in einem reellen Umfeld sowohl Tests von Innovationen und Geschäftsmodellen ermöglichen als auch die Durchführung von Zulassungsverfahren unter Vermeidung von Hemmnissen. Systemischen Risiken durch FinTechs sei durch regulatorische Parameter, dynamische Anpassung von Aufsichtsanforderungen, klare Insolvenzregimes und diszipliniertes Risikomanagement zu begegnen.

Cybersicherheit im Finanzsektor
Auch über Cyberrisiken wurde auf der Konferenz gesprochen. Mit voranschreitender Digitalisierung von Finanzdienstleistungen sind auch Bedrohungen durch immer professionellere digitale Angriffe auf Institute und Systeme des Finanzsektors in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Auch Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière wies deshalb darauf hin, dass die Verwundbarkeit von IT-Systemen aufgrund immer intelligenter werdender Angriffsformen und Schadsoftware stetig wächst und er rief dazu auf, mehr in IT-Sicherheit zu investieren.
Der Finanzsektor zeichnet sich durch die internationale Vernetzung seiner Märkte und Institute aus. Größere Cyberangriffe auf ein einzelnes Institut können daher Auswirkungen auf andere – auch ausländische – Institute haben, sodass Cyberangriffe auf den Finanzsektor durchaus mit Risiken für das globale Finanzsystem einhergehen können. Um die Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors zu stärken, ist es deshalb notwendig, dass alle G20-Staaten ihre Anstrengungen in diesem Bereich erhöhen. Der Gouverneur der Bank of England, Dr. Mark Carney, begrüßte deshalb den Vorstoß der deutschen G20-Präsidentschaft, den FSB mit einer Bestandsaufnahme von in G20-Staaten bereits geltenden Aufsichtsregularien für die Cybersicherheit im Finanzsektor zu beauftragen, um hieraus mittelfristig Handlungsempfehlungen zu entwickeln.
Abgerundet wurde die Behandlung des Themas durch einen wissenschaftlichen Dialog. Auch hier wurde festgestellt, dass der Finanzsektor für Cyberkriminelle ein besonders attraktives Angriffsziel ist. Zunehmend werde sogenannte Ransomware eingesetzt. Damit werden Schadprogramme bezeichnet, die den Zugriff auf Daten und Systeme einschränken oder verhindern und diese nur gegen Zahlung eines Lösegeldes wieder freigeben. Zunehmend werde auch gedroht, dass bei Nichtzahlung sensible Kundendaten im Internet veröffentlicht würden. Aber nicht nur diese immer höher entwickelten Angriffe auf etablierte Finanzinstitute stellten den Finanzsektor vor neue Herausforderungen. Auch Akteure mit neuartigen Geschäftsmodellen, wie z. B. FinTechs, würden häufiger als Angriffsziel identifiziert, insbesondere weil für diese weitaus geringere Regulierungsanforderungen hinsichtlich der Sicherheit bestünden. Positiv sei hervorzuheben, dass sich die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Cybersicherheit in den vergangenen Jahren verbessert habe.
Schlussfolgerungen und Ausblick
Das Thema Digitalisierung soll im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft weiter diskutiert werden. Dabei werden in verschiedenen Arbeitssträngen des FSB insbesondere Analysen zu den potenziellen Wirkungen von FinTechs und digitalen Technologien im Finanzsektor durchgeführt. Eine Bestandsaufnahme bereits vorhandener Regulierungsansätze wird zudem helfen, etwaige globale regulatorische Fragestellungen für ein stabiles Finanzsystem im Bereich FinTech zu identifizieren.
Ein wichtiges Ziel der deutschen Präsidentschaft ist auch die Förderung wirksamer Verfahren zur Stärkung der finanziellen Allgemeinbildung, insbesondere durch den Aufbau eines über die G20-Länder hinweg vergleichbaren Datensets zur Bewertung der Wirksamkeit von Förderprogrammen. Ebenso wichtig ist der Austausch zwischen G20- und Nicht-G20-Ländern zur digitalen finanziellen Inklusion.
Ein zusätzlicher Schwerpunkt der Digitalisierungsdebatte wird auf der Nutzung der hiermit verbundenen Möglichkeiten zur Verbesserung der Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen liegen (z. B. im Rahmen des Workshops „Helping SMEs Go Global – Moving Forward in SME Finance“ am 23. und 24. Februar 2017 in Frankfurt am Main). Weiterhin möchte das BMF die Chancen der Digitalisierung für die internationale Zusammenarbeit für Schüler durch einen gemeinsam mit der Hamburger Joachim Herz Stiftung entwickelten „Global Classroom“ nutzen (weitere Informationen hierzu finden Sie unter www.global-classroom.de).