Navigation

zur Suche

Sie sind hier:

12.08.2021

Flucht der Holzapfels

Textfassung des Videos

Zum Video Flucht der Holzapfels

Die abenteuerliche Geschichte der Familie Holzapfel hat sich so im Juli 1965 ereignet. Vom damaligen Machtzentrum der DDR-Regierung, dem Haus der Ministerien, wagte die Familie vier Jahre nach dem Mauerbau die Flucht in den Westteil Berlins. Nur ein Katzensprung entfernt lagen hier Ost- und Westberlin. Heinz Holzapfel hat den Zweiten Weltkrieg als Soldat überlebt. Anfangs ist er angetan von den Ideen der neuen sozialistischen Machthaber: Nie wieder Krieg und ein gerechter Staat, in dem jeder hat, was er braucht. Er wird SED-Mitglied, um sich für die propagierten Ziele zu engagieren. Doch schon Anfang der 1960er Jahre glaubt er nicht mehr an die leeren Versprechungen des Regimes.

Holzapfel beschließt, die DDR mit seiner Familie zu verlassen und plant zwei Jahre lang akribisch die Flucht. Aus beruflichen Gründen besucht der Industrieökonom aus Leipzig zweimal im Monat das Berliner Haus der Ministerien. Diese Gelegenheit nutzt er zur Erkundung des Gebäudes. Am 28. Juli 1965 ist es soweit: Heinz und Jutta Holzapfel machen sich gemeinsam mit ihrem neunjährigen Sohn Günter auf den Weg, um vom Dach des Hauses den Absprung in den Westen zu wagen. Sie verstecken sich in einer Toilette und warten den Dienstschluss ab. In einer Aktentasche tragen sie alle wichtigen persönlichen Dokumente bei sich. Ihre Fluchtwerkzeuge haben sie monatelang präpariert: Tragegurte, eine handgefertigte Seilrolle, gepolsterte Socken und ein Hammer, der mit Schaumgummi umwickelt ist.

Um 21:45 Uhr klettert die Familie auf das Dach. Heinz Holzapfel befestigt den Hammer an einem Nylonseil. Diesen wirft er über die Mauer, die nur zwölf Meter vom Haus der Ministerien entfernt ist. Auf der anderen Seite der Mauer warten vier Familienangehörige. Diese verbinden das Nylonseil mit einem 120 Meter langen Stahlseil. Mit vereinten Kräften zieht das Ehepaar Holzapfel das Stahlseil auf das Dach und befestigt es an einem Fahnenmast. Die Helfer auf West-Berliner Seite spannen die Seilbahn nun mit Hilfe eines LKW. All dies geschieht unter den Augen eines sowjetischen Luftbeobachtungsposten, der sie durch ein Fernglas observiert. Günter macht den Anfang. In dunkler Nacht saust er die Seilbahn hinab über die Mauer. Jutta folgt ihm gleich darauf. Doch als Heinz springen will, wird es brenzlig. Er kommt nicht an der Dachkante vorbei. Das Seil hängt zu tief.

Eine Stunde voller Ratlosigkeit und Bangen vergeht, bis Jutta Holzapfel die erlösende Idee hat. Sie lockern das Seil und Heinz hängt es höher an dem Fahnenmast auf. Jetzt saust auch der Vater Richtung West-Berlin. Doch verliert er dabei die Aktentasche mit den persönlichen Dokumenten – so weiß die Stasi schon wenig später, wer geflohen ist. Trotzdem haben er und seine Familie großes Glück: Der sowjetische Beobachtungsposten hält sie für DDR-Agenten, die unbemerkt in den Westen wollen und schlägt keinen Alarm. Nach ihrer Flucht lässt sich Familie Holzapfel in München nieder. Sie gehören zu den mehr als 5.000 Menschen, die zwischen 1961 und 1989 aus der DDR fliehen.