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26.04.2023

Christian Lindner zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts

CHRISTIAN LINDNER: Ja, meine Damen und Herren, die Europäische Kommission hat heute ihre Vorschläge für eine mögliche Reform der europäischen Fiskalregeln vorgestellt. Das ist ein wichtiger Schritt. Jetzt übernimmt der Rat. Wir werden die Vorschläge genau prüfen. Die Bundesregierung wird sich weiter konstruktiv an den Gesprächen beteiligen. Wir haben ja mit einem sogenannten "Nonpaper" im vergangenen Jahr einen Beitrag zu dieser Debatte geleistet. Wir haben jetzt kürzlich auch nochmal technische Vorschläge eingebracht. Sichtbar ist also, die Bundesregierung ist konstruktiver Teil dieses Beratungsprozesses. Sie hat allerdings auch eigene Positionen.

Bis zu einer Verabschiedung von neuen Regeln haben die aktuell gültigen Regeln weiter Bestand. Das ist wichtig für uns, festzustellen. Ferner muss klar sein, dass eine Reform aus deutscher Sicht nur dann gelingen kann, wenn der Stabilitäts- und Wachstumspakt daraus gestärkt hervorgeht. Seine Regeln müssen klar sein, die Durchsetzung muss garantiert sein. Vorschläge, die einer Aufweichung des Stabilitätspakts gleichkommen, die könnte Deutschland nicht akzeptieren.

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten stabile Staatsfinanzen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gemeinsam nachhaltig wirtschaften und die Inflation dauerhaft bekämpfen. Die Fiskalregeln sind dafür; und werden zukünftig und müssen zukünftig noch stärker die Grundlage sein für wirtschaftliche Stabilität und Wachstum.

Eine erste Durchsicht der Vorschläge zeigt, es braucht noch deutliche Anpassungen, um aus dem Vorschlag wirklich verlässliche, transparente und verbindliche Regeln zu machen. Nur wenn wir hier Verbesserungen erreichen, werden wir wirklich einen Pfad zu deutlich niedrigeren Defiziten und sich reduzierenden Schuldenquoten erreichen. Aber immerhin sind Ansatzpunkte im Vorschlag der Kommission erkennbar, die eine weitere Debatte lohnenswert erscheinen lassen. Das gilt es nun, im Rahmen der Gespräche auszuloten und darauf aufzubauen.

Für die Bundesregierung sind folgende Punkte essenziell, die wir ja auch schon in den bisherigen Debatten unterstrichen hatten. Zum einen sollten unsere gemeinsamen Fiskalregeln einen realistischen und schrittweisen Abbau von Defiziten und Schuldenstandsquoten sicherstellen. Und zum anderen muss sichergestellt werden, dass wir fiskalische Puffer in allen Mitgliedsstaaten haben, um auf kommende Krisensituationen zu reagieren. Wir wollen zudem, dass die Regeln weiter einen multilateralen Charakter haben. Wir wollen gemeinsame Regeln statt einer weitgehenden Bilateralisierung der Fiskalregeln. Ganz konkret haben wir vorgeschlagen, die Beibehaltung der Referenzwerte von 3 Prozent Defizit am Bruttoinlandsprodukt und 60 Prozent Schuldenquote festzuschreiben. Es sollte auch keine Änderungen beim Defizitverfahren bei einer Überschreitung des 3 Prozent Kriteriums geben. Wir haben einen Vorschlag gemacht für numerische Vorgaben und eine zusätzliche Haltelinie, um einen ausreichend schnellen Abbau und wirksamen Abbau von Schuldenstandsquoten zu erreichen. Und natürlich ist die Umsetzung und Durchsetzung der Regeln wichtig. Der Schuldenabbau kann nicht allein ins Ermessen der Europäischen Kommission gestellt werden, sondern muss auf der Basis gemeinsamen Rechts erfolgen.

Ich fasse noch einmal kurz zusammen. Die Vorschläge der Europäischen Kommission entsprechen noch nicht den Anforderungen der Bundesregierung. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass in Europa stabil gewirtschaftet wird und wir die hohen Schulden und Defizite überwinden. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger. Und das ist für die gute wirtschaftliche Entwicklung auch richtig. Die Bundesregierung prüft die Vorschläge der Europäischen Kommission. Wir sind auch konstruktiv. Aber niemand darf sich einem Missverständnis hingeben, dass die Zustimmung der Bundesregierung automatisch gesichert ist. Wir stimmen nur Regeln zu, die wirklich einen verlässlichen Pfad zu geringeren Schulden und stabilen Staatsfinanzen bringen werden. Ja, so viel von meiner Seite.

FRAGE: Die Kommission will ja, dass in denjenigen Mitgliedsstaaten, die ein Haushaltsdefizit von über 3 Prozent haben, das zu 0,5 Prozentpunkten zurückgeführt werden soll. Ihnen ist da mehr vorgeschwebt. Sind Sie zufrieden damit?

CHRISTIAN LINDNER: Das, was die Europäische Kommission vorgelegt hat, ist jetzt ein weiterer Schritt in den Beratungen. Für die Bundesregierung ist klar, wir brauchen einen Stabilitätspakt, der diesen Namen zurecht trägt. Wir müssen weg von den hohen Schulden. Und wir müssen dafür verlässliche und auch ambitionierte Regeln haben. Das, was vorgelegt ist, entspricht noch nicht unseren Erwartungen. Und deshalb ist weitere Arbeit nötig.

FRAGE: Wenn ich noch kurz ergänzen darf. Grüner Umbau der Wirtschaft, Digitalisierung, Verteidigung – nie gab es so viel Bedarf offenbar an Investitionen. Ist der reformierte Pakt der Herausforderung gewachsen?

CHRISTIAN LINDNER: Wir müssen sehr viel investieren. Aber auf der anderen Seite sind Schulden Schulden. Wir haben Inflation. Wir haben stark steigende Zinsen. Wir können die Transformation der Wirtschaft nicht allein mit Staatsschulden bezahlen. Sondern das sind Aufgaben, die in der Wirtschaft stattfinden müssen. Transformation darf keine Entschuldigung sein dafür, unsolide zu wirtschaften. Deshalb brauchen wir einen Stabilitätspakt, der zu verlässlichem Defizitabbau führt. Und dazu leistet der Vorschlag der Kommission jetzt als Beratungsgrundlage einen wichtigen Beitrag. Aber wir sind noch nicht am Ende.

FRAGE: Herr Lindner, [NAME], von der dpa. Sie haben ja gesagt, dass die Vorschläge, die einer Aufweichung gleichkommen würden; da würde Deutschland nicht zustimmen. Würden Sie denn sagen, dass die Vorschläge der EU auch schon so einer Aufweichung gleichkommen? Oder was müsste aus Ihrem Sinne da vielleicht noch angepasst werden? Können Sie dazu schon was sagen?

CHRISTIAN LINDNER: Uns fehlen die numerischen Vorgaben. Uns fehlen Haltelinien. Das haben wir konstruktiv in den Gesprächen ja regelmäßig vorgetragen. Davon ist noch zu wenig in diesem Vorschlag enthalten. Deshalb leistet der Vorschlag, wie er jetzt heute publiziert worden ist, noch nicht das, was er sollte, nämlich verlässlicher Defizitabbau, verlässliche Reduzierung der Staatsschuldenquoten. Hier ist noch sehr viel gemeinsame Arbeit nötig.

FRAGE: [NAME] von Bloomberg. Steht die gesamte Bundesregierung hinter Ihrem harten Kurs gegenüber der EU-Kommission oder gibt es da auch koalitionsintern Abstimmungsbedarf? Und die zweite Frage ist, was erwarten Sie sich von Stockholm? Glauben Sie, wird man da einer Lösung näherkommen können oder wird es noch länger dauern?

CHRISTIAN LINDNER: Die Positionierungen der Bundesregierung erfolgten immer abgestimmt. Sowohl unser sogenanntes "Nonpaper" als auch die technischen Vorschläge, die wir vorherige Tage eingebracht haben, sind zwischen den Ressorts abgestimmt. In Stockholm wird es einen ersten Gedankenaustausch zu diesen Fragen geben. Ich erwarte aber noch keine Durchbrüche schon in Stockholm. Das wird noch Zeit beanspruchen.

Vielen Dank. Einen guten Tag Ihnen noch, Tschüss!