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05.12.2022

Christian Lindner vor dem Dezember-Treffen der Eurogruppe

CHRISTIAN LINDNER: Einen schönen guten Tag zusammen, ich grüße Sie. Ich habe gerade Pierre Gramegna getroffen, den neuen Managing Director des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Ich freue mich sehr, dass am Ende möglich geworden ist, Herrn Gramegna zu wählen, auch mit einem sehr klaren und eindeutigen Votum. Deutschland hat seine Kandidatur bereits zu Beginn unterstützt. Es gab dann im Prozess Klärungsbedarf; am Ende aber dieses gute Ergebnis. Er ist jetzt der richtige Mann an dieser Stelle. Er hat herausragende kommunikative Fähigkeiten, Charme, aber eben auch die Substanz und Erfahrung eines langjährigen Finanzministers. Er stärkt damit also die Autorität und die Handlungsfähigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Und jetzt gleich wird er in unseren Beratungen auch zum ersten Mal teilnehmen. Zum Zweiten will ich hier in die Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen eintreten über den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Es liegen nun Vorstellungen der Europäischen Kommission vor.

Die Vorstellungen der Europäischen Kommission für den Stabilitäts- und Wachstumspakt sind nicht das Ende der Debatte, sondern sie sind höchstens der Beginn. Eine Landezone, wo wir zusammenkommen, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sichtbar. Für Deutschland ist klar: Wir müssen von realistischen Annahmen und auch gestiegenen Schuldenständen in Europa ausgehen. Aber das Ziel muss sein, einen verlässlichen Pfad zu reduzierter Staatsverschuldung einzuschlagen. Einer, der Flexibilität erlaubt und von einer realistischen Ausgangsbasis startet, aber der nicht hintergehbar sein darf. Im Übrigen muss eine gemeinsame europäische Stabilitäts- und Wachstumspolitik auch von gemeinsamen, für alle identischen Regeln ausgehen. Eine Bilateralisierung von Fragen der Stabilität unserer Fiskalordnung wäre keine Reform, die Europa insgesamt stärker und wettbewerbsfähig macht. Sehr aufmerksam habe ich die Rede der Präsidentin der Europäischen Kommission zum Inflation Reduction Act der Vereinigten Staaten aufgenommen. Mehr Flexibilität bei Wirtschaftshilfen, bei Beihilfen ist zu begrüßen, mehr Agilität und mehr Tempo ohnehin.

Das Ziel muss aber sein, mit den Vereinigten Staaten intakte Handelsbeziehungen zu erhalten und unsere eigene Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Also agiler und schneller zu sein bei den bestehenden Instrumenten ist gewiss vorzugswürdig. Auch die bestehenden Instrumente - ich unterstreiche die bestehenden Instrumente stärker zu bündeln, auch das kann sinnvoll sein. Mit einem Souveränitätsfonds darf aber nicht ein neuer Anlauf unternommen werden für gemeinsame europäische Schuldenaufnahme. Das wäre nur die immer gleiche Lösung, auf der Suche nach immer neuen Anlässen vorgeschlagen zu werden. Wir sehen keinen Anlass für zusätzliche gemeinsame europäische Verschuldung. Auch ökonomisch ist das nicht mehr vorteilhaft. Lassen Sie mich einen vierten, letzten Punkt ansprechen. Wir sind kurz davor, das Geldwäsche- bekämpfungspaket zu finalisieren. Deutschland unternimmt große Anstrengungen im Bereich der Finanzkriminalität und der Bekämpfung der Geldwäsche. Wir sind auch in der Vorbereitung einer neuen Behördenstruktur in Deutschland, um hier bestehende Defizite abzubauen und noch besser zu werden.

Wir wollen die ehrlichen Kaufleute vor denen schützen, die die Regeln unterlaufen. Wir wollen insbesondere die Geldwäsche stark eingrenzen. Deshalb zum Beispiel ist in Deutschland neuerdings gesetzlich verboten, eine Immobilie mit Bargeld zu kaufen. Aber beim Geldwäschebekämpfungspaket, das jetzt in der Beratung ist, ist eine Obergrenze für die Bezahlung von Bargeld in Höhe von 10.000 Euro vorgesehen. Deutschland kann einer Obergrenze für die Barzahlung nicht zustimmen. Bargeld - Cash - ist auch ein Ausdruck von Privatsphäre und Datenschutz und deshalb werden wir uns bei Teilen des Geldwäschebekämpfungspakets - es ist ja eine Richtlinie, eine Verordnung - enthalten, um zum Ausdruck zu bringen, dass bei aller Notwendigkeit entschlossen Geldwäsche zu unterbinden und Finanzkriminalität zu bekämpfen, wir kein generelles Misstrauensvotum gegenüber den Menschen aussprechen dürfen und auch die Bezahlung in cash möglich sein muss. Das waren meine vier Punkte.

JOURNALIST: Einen haben Sie noch nicht angesprochen: Ungarn und den Konditionalitätsmechanismus. Da gibt es etwas Unsicherheit darüber, welchen Stand der Diskussion man denn annehmen darf. Können Sie uns ein bisschen Klarheit da reinbringen?

CHRISTIAN LINDNER: Diese Diskussion ist noch nicht abgeschlossen und deshalb habe ich es nicht als fünften Punkt ansprechen können. Gespräche laufen auf unterschiedlicher Ebene.

JOURNALISTIN: Wird es morgen zu einer Abstimmung kommen? Und falls ja, glauben Sie, dass Sie eine qualifizierte Mehrheit hätten?

CHRISTIAN LINDNER: Das Verfahren ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend geklärt. Es laufen darüber noch Gespräche. Deshalb wäre es falsch, jetzt in der Sache oder auch zum Verfahren schon zu Festlegungen zu kommen. Ich wünschte, ich könnte Sie aufklären über fertige Stände, aber leider ist mir das nicht möglich.

JOURNALISTIN: Unterstützt Deutschland ein zweites Assessment, was die Kommission abliefern könnte?

CHRISTIAN LINDNER: Es liegen jetzt mehrere Optionen auf dem Tisch. Wichtig für mich ist, dass die Rechtsstaatlichkeit, auch die Bekämpfung von Korruption in Europa, insgesamt eine Priorität ist und bleibt. Wir wollen daneben die globale Mindeststeuer als Teil der Weltsteuerordnung in Europa idealerweise gemeinsam einführen. Und die Ukraine braucht unbedingt unsere Solidarität und auch Klarheit über die finanzielle Unterstützung im nächsten Jahr. Das ist die Ausgangslage. Und hier liegen nun unterschiedliche Optionen auf dem Tisch. Aber zur Stunde kann man darüber noch nicht im Einzelnen sprechen. Es laufen dann noch Gespräche. Morgen sind wir vielleicht schon einen kleinen Schritt weiter und wissen zumindest beim Verfahren, wie es weitergehen kann.

JOURNALIST: Im Nachgang zur gestrigen Rede von Präsidentin Ursula von der Leyen, befürworten Sie die Lockerung der Vorschriften über staatlichen Beihilfen, um die europäische Industrie zu unterstützen?

CHRISTIAN LINDNER: Wir müssen agiler werden und aus meiner Sicht gibt es bei den staatlichen Beihilfen noch Spielraum für Verbesserungen. Wir müssen die europäische Wettbewerbsfähigkeit fördern. Und das Inflationsbekämpfungsgesetz der USA ist aus meiner Sicht eine Chance und eine Aufforderung, unsere eigene Wettbewerbsfähigkeit zu überprüfen. Einige Teile der Initiative von Ursula von der Leyen müssen noch weiter erörtert werden, insbesondere ihr Vorschlag eines europäischen Souveränitätsfonds. Wenn dies eine Umbenennung bereits bestehender Instrumente bedeutet, bin ich dafür offen. Wenn der Souveränitätsfonds neue gemeinsame europäische Schulden zur Folge hat, wäre dies aus meiner Sicht keine Verbesserung unserer Wettbewerbsfähigkeit und Stabilität, sondern eine Gefahr dafür.

JOURNALISTIN: Eine Frage zum Inflation Reduction Act. Es gibt Stimmen aus dem EU-Parlament, die bereits eine WTO-Klage fordern. Ist das jetzt schon an der Zeit?

CHRISTIAN LINDNER: Zunächst muss man mit Washington sprechen. Ich begrüße sehr, dass der französische Präsident mit dem amerikanischen in einen Austausch getreten ist. Dabei ist ganz offensichtlich geklärt worden, dass es nicht um eine Schwächung Europas geht. Ich setze darauf, dass es hier Möglichkeiten gibt, unter Partnern und Freunden negative Effekte auf Europa zu vermeiden. Aber danach liegen natürlich unterschiedliche Aufgaben bei uns. Zunächst einmal unsere eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Das ist nicht nur eine Frage von öffentlichen Investitionen, sondern auch der Vertiefung der Kapitalmarktunion, damit wir private Finanzierungen anschieben können. Das ist auch eine Frage von Regulierung. Etwa immer höhere bürokratische Standards belasten natürlich auch die weltweiten Fähigkeiten, die globale Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrien und Betriebe in Europa. So, jetzt glaube ich, müssen wir langsam zum Ende kommen, weil ich habe das Gefühl, Fernando und ich, wir sind die Letzten hier bei Ihnen.

JOURNALIST: Eine Sache noch, Sie haben es vorhin angedeutet. Vielleicht können Sie es noch etwas konkreter machen. Wie hängt denn die Hilfe für die Ukraine und die globale Mindeststeuer und die Konditionalität zusammen bei den Diskussionen?

CHRISTIAN LINDNER: Genau das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt eben noch nicht. Da finden gegenwärtig Gespräche statt. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass es nicht einfach nur Deals geben kann, weil die Frage der Rechtsstaatlichkeit, der Konditionalität von einer sehr hohen Bedeutung auch für die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union nach innen und außen selbst ist. In diesem Sinne vielen Dank und see you later.