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19.05.2022

Doorstep mit Christian Lindner vor Beginn des Treffens der G7-Finanzministerinnen und -Finanzminister

Christian Lindner: Einen schönen guten Morgen, meine Damen, meine Herren, hier auf dem Petersberg, einem historischen Ort. Im ehemaligen Gästehaus der Bundesregierung empfange ich zusammen mit dem Präsidenten der Bundesbank, Joachim Nagel, heute die Finanzministerinnen und Finanzminister der G7-Staaten sowie die Spitzen der Notenbanken. Wir hätten ohnehin eine dicht gefüllte Agenda miteinander besprochen. Wir haben Fragen der wirtschaftlichen Erholung nach der Pandemie zu beraten. Wir müssen die internationale Finanzstabilität sicherstellen, insbesondere in Zeiten von Inflation. Unsere Sorge gilt den Schwellen- und Entwicklungsländern mit einer sehr hohen Verschuldungsquote. Wir haben innovative Projekte wie digitale Währungen und auch die Frage, wie wir unsere Anstrengungen beim Klimaschutz global koordinieren können. Also die Agenda wäre bereits sehr intensiv gewesen.

Der Krieg in der Ukraine aber wird auch bei diesem Treffen eine zentrale Rolle spielen. Deshalb wird auf unsere Einladung auch der Premierminister der Ukraine zu unserer Working Session zur Ukraine dazugeschaltet werden. Es geht darum, die Handlungsfähigkeit des ukrainischen Staates sicherzustellen. Die Ukraine kämpft mit beeindruckender – ich denke uns alle beeindruckender – Tapferkeit für Frieden und für ihre Freiheit. Sie verwirklicht ihr Recht auf Selbstbestimmung. Sie verteidigt auch unsere Werte, die Werte der liberalen Demokratie. Aus diesem Grund sehen wir uns auch gemeinsam in einer Verantwortung, die finanzielle Handlungsfähigkeit der Ukraine in diesem Moment zu sichern. Wir werden also miteinander beraten. Was ist zu tun, damit die Funktionsfähigkeit des ukrainischen Staates in diesem historischen Moment sichergestellt bleibt? Der Krieg in der Ukraine, der unprovozierte verbrecherische Angriff Russlands auf die Ukraine hat natürlich auch zusätzliche Risiken für die Entwicklung der Weltwirtschaft zur Folge. Das betrifft die Inflation, aber auch die ausbleibende Erholung nach der Pandemie.

Deshalb werden wir zu beraten haben, was wir gemeinsam jeweils in unserem Verantwortungsbereich unternehmen können, um Stagflationsszenarien zu vermeiden. Das ist auf der einen Seite natürlich eine Aufgabe für die Notenbanken, die mit ihrer Zins- und Anleiheankaufpolitik gestalten können. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch eine Verantwortung für die staatliche Fiskal-, für die Finanzpolitik. Es geht darum, Druck von Preisen zu nehmen und die Perspektive für langfristiges, für nachhaltiges Wachstum zu stärken, indem wir Produktivitätsgewinne organisieren und auch die Ausweitung von Produktionskapazitäten durch die Maßnahmen der Fiskalpolitik stärken, um daraus Wachstumsimpulse zu gewinnen. Es darf in keinem Fall zu einer Situation fiskalischer Dominanz kommen, also dass gewissermaßen die Notenbankpolitik in Schlepptau der Staaten genommen wird, weil die Defizitsituation die Handlungsfähigkeit der Zentralbanken beschneidet.

Also wir haben eine sehr intensive Agenda, die wir miteinander hier auf dem Petersberg besprechen. Von der Anlage dieses G7-Treffens haben wir uns an früheren Beispielen orientiert. Es wird also zu Beginn nicht nur unser Gespräch als Politikgestalter geben, sondern wir werden zu Beginn sehr hochrangige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei einem Symposium empfangen und werden jetzt am Vormittag zunächst einmal eine externe Perspektive, eine wissenschaftliche Perspektive auf die unterschiedlichen Entwicklungen entgegennehmen. Werden diskutieren mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und werden dann ab Mittag unsere politischen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Das Miteinander im Kreis der G7 ist außerordentlich angenehm.

Wir hatten gestern Abend schon in Bonn die Gelegenheit, uns informell zu treffen und ohne eine Tagesordnung auszutauschen. Ich darf eines feststellen: Putin wird seine Kriegsziele in der Ukraine nicht erreichen. Eines aber hat er bereits erreicht. Die internationale Kooperation und die Bereitschaft zu globaler Partnerschaft. Die ist so groß wie kaum jemals zuvor. Und das ist ein Grund zur Zuversicht, dass wir auch andere globale Herausforderungen wie etwa den Klimawandel, die digitale Transformation und die Sicherung der wirtschaftlichen Entwicklung gemeinsam miteinander bewältigen können. So viel von meiner Seite zu Beginn.

Journalist: Wir planen, ungefähr 15 Milliarden Euro zusammenzukriegen für die Ukraine. Sie als Gastgeber werden ja wahrscheinlich in das Treffen nicht ohne Angebot hineingehen. Wie viel ist Deutschland bereit, zu geben für die Ukraine?

Christian Lindner: Wir werden von Internationalem Währungsfonds und Weltbank ja auch noch mal ein Zahlentableau besprechen. Bei der letzten Zusammenkunft der G7 in Washington hatten wir auch als Präsidentschaft die internationalen Institutionen gebeten, uns ein Zahlentableau zu präsentieren. Ich kann deshalb die Ziffer, die Sie genannt haben, jetzt noch nicht bestätigen. Aber es ist eine signifikante Größenordnung, die in den nächsten Monaten zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit des ukrainischen Staates benötigt wird. Wir haben gehört, dass die Vereinigten Staaten von Amerika bereits Ankündigungen gemacht haben, in welcher Weise sie bereit sind, sich an der Sicherstellung der Liquidität zu beteiligen. Deutschland geht nicht unvorbereitet in diese Gespräche. Wir haben natürlich innerhalb des Finanzministeriums und der Bundesregierung unsere Möglichkeiten geprüft. Aber Sie werden Verständnis haben, dass ich es zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen kann. Der Zeitpunkt wird im Laufe des Tages sein. Irgendwo zwischen Beginn des G7-Treffens und dem Ende der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages werde ich Ihnen eine Ziffer nennen können.

Pressesprecher: Die Kollegin von Bloomberg.

Christian Lindner: Sie können Ihre Frage auf Englisch stellen und ich entscheide, ob ich auf Deutsch oder auf Englisch antworte.

Journalistin: Ich möchte dieselbe Frage gerne nochmal auf Englisch stellen. In Bezug auf die Themen der Gespräche. Das erste Gespräch […] – auch im informellen Rahmen gestern Abend – über weitere Hilfen für die Ukraine. Über welchen Umfang […]?

Christian Lindner: Wir müssen die Liquidität des ukrainischen Staates sichern. Wir sind beeindruckt von der Tapferkeit des ukrainischen Volkes im Kampf für die Freiheit und für all unsere Werte. Daher sehen wir uns in der Verantwortung sicherzustellen, dass sich der ukrainische Staat und sein Volk verteidigen können. Wir gehen von zweistelligen Milliardenbeträgen aus, die in der absehbaren Zeit der nächsten Monate benötigt werden. Ich bin optimistisch, dass es uns im Rahmen dieses G7-Treffens gelingen wird, Finanzmittel zu mobilisieren, mit denen sich die Ukraine in den nächsten Monaten verteidigen kann.

Journalistin: Planen Sie angesichts der hohen Energie- und Lebensmittelpreise bestimmte Maßnahmen? Geht es in Ihren Gesprächen auch darum?

Christian Lindner: Wir werden uns über das gemeinsame Rahmenwerk zur Schuldenbehandlung austauschen. Die Situation der Staaten mit niedrigen Einkommen stellt ein Risiko für die globale Ernährungssicherheit und die Stabilität des internationalen Finanzsystems dar. Daher müssen wir uns mit der Lage dieser Staaten befassen. Ich erinnere China an seine Verantwortung in dieser Situation. Wir brauchen mehr Transparenz in globalen Schuldenfragen und darum wird es bei diesem Treffen sicherlich auch gehen.

Journalistin: Auf Deutsch noch mal, Herr Lindner. Wie werden Sie die Preissteigerungen jetzt besprechen und welche Strategien und Lösungen haben Sie?

Christian Lindner: Auf der globalen Ebene geht es ja darum, die Treiber der Inflation zu identifizieren und zu bekämpfen. Das sind global steigende Nahrungsmittel, steigende Energiepreise. Das ist eine Aufgabe auch der Notenbanken, aber eben auch der staatlichen Fiskalpolitik. Auf der Ebene der G7 ist nicht der Ort, um einzelne nationale Maßnahmen zu diskutieren, wie man mit den Preisen umgeht. Hier geht es eher darum, gemeinsam ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass ausbleibendes Wachstum und steigende Inflation Risiken darstellen. Und auf diese Risiken wollen wir koordiniert reagieren. Denn eine koordinierte Herangehensweise der G7 ist auch die beste Sicherung dafür, dass wir die Interessen von Schwellen- und Entwicklungsländern mitberücksichtigen.

Sie wissen, diese Länder sind oftmals in Dollar verschuldet. Zugleich kaufen sie in Dollar auf den Weltmärkten Güter ein. Und daraus kann sehr schnell eine kritische Situation entstehen. Diese kritische Situation wollen wir nicht einfach passieren lassen, sondern frühzeitig bereits miteinander besprechen, wie kann eine solche Situation verhindert werden.

Pressesprecher: Dann bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Christian Lindner: Achso, okay, alles klar. Wir waren ja gerade so miteinander warm geworden. Okay, dann: Wir sehen uns später. Es wird noch Gelegenheit geben.