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24.04.2023

Öffentliche Finanzen

Bundesfinanzminister Christian Lindner im Interview mit der Lebensmittel Zeitung

Bundesfinanzminister Christian Lindner im Interview: „Die Zeit der reinen Verteilungspolitik ist vorbei, nun muss die Stärkung von Wachstum den Vorzug erhalten.”

  • Datum 24.04.2023

Lebensmittel Zeitung: Herr Lindner, der Leitantrag für den FDP-Parteitag ist überschrieben mit: „Ja zu mehr Wohlstand.“ Gab es bislang zu oft ein „Nein“ zu mehr Wohlstand?

Christian Lindner: Es gibt zumindest bei unseren politischen Mitbewerbern den Zugang, Wohlstand zu verteilen und nicht die Erkenntnis, dass dieser zunächst erwirtschaftet werden muss. Die richtige Prioritätensetzung war das nie. Im vergangenen Jahrzehnt haben wir in einer Art Wohlstandshalluzination gelebt, weil das Wachstum unserer Wirtschaft wie ein Selbstläufer schien. Dem ist aber nicht so. Nach zwei Wirtschaftskrisen müssen wir dringend umdenken. Die Zeit der reinen Verteilungspolitik ist vorbei, nun muss die Stärkung von Wachstum den Vorzug erhalten.

Lebensmittel Zeitung: Sie setzen auf ein ambitioniertes Innovations- und Wachstumsprogramm, betonen zugleich die Bedeutung der Schuldenbremse…

Christian Lindner: In Ihrer Frage klingt ein Widerspruch an, diesen sehe ich aber nicht. Denn Impulse für Innovation und Wachstum werden nicht allein durch Subventionen und Förderprogramme gesetzt. Ich denke da etwa an Entbürokratisierung, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie bessere Bedingungen für Investitionen und Innovation. Der Großteil aller Investitionen wird aus privatem Kapital finanziert. Hier müssen wir die richtigen Anreize setzen.

Lebensmittel Zeitung: Als Prioritäten für den Etat 2024 nennen Sie etwa die Modernisierung von Handwerk, Mittelstand und Industrie. Was ist machbar?

Christian Lindner: Wir können und müssen hier auch mit öffentlichen Mitteln Beiträge leisten. Mir ist aber wichtig: Sie sollten privates Kapital nicht ersetzen, sondern als Hebel wirken. Hier arbeitet mein Haus an verschiedenen Maßnahmen, mit denen wir aus jedem eingesetzten Euro das Maximale gerade für die mittelständische Wirtschaft herausholen – etwa über zusätzliche Abschreibungen. Das wollen wir zum bestmöglichen Zeitpunkt auf den Weg bringen.

Lebensmittel Zeitung: Der Staat erwartet für 2023 auch durch die Inflation Rekordeinnahmen. Staatliche Mehrausgaben könnten die Inflation befeuern. Sind Entlastungen realistisch, oder drohen gar neue Belastungen?

Christian Lindner: Zum einen zeigen die Rekordeinnahmen ja gerade, dass neue Steuern oder Abgaben nicht notwendig sind. Vielmehr muss die Politik lernen, mit dem auszukommen, was von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern erwirtschaftet wird. Zum zweiten: In der Tat können staatliche Mehrausgaben die Inflation befeuern. Sie würden unseren Staat auf Dauer auch überfordern. Das widerspricht aber nicht klug ausgestalteten Entlastungen. Mit dem Inflationsausgleichsgesetz haben wir etwa neue Belastungen verhindert, ohne die Inflation zu treiben. Ich will auch darüber hinaus Spielräume für weitere Entlastungen schaffen.

Lebensmittel Zeitung: Ist mit einer Absenkung der Unternehmenssteuern auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau zu rechnen?

Christian Lindner: Wir sind ein Höchststeuerland. Ich werbe fast täglich bei meinen Kabinettskolleginnen und -kollegen und den Koalitionspartnern für die Einsicht, dass das veränderte makroökonomische Umfeld auch Anpassungen bei den Unternehmenssteuern erfordert. Da freue ich mich über jede Unterstützung. Bürger wie Unternehmen sorgen sich wegen der Inflation. Wir sehen, dass es zwar Zeichen der Entspannung gibt, dass die Phase der hohen Inflation aber bei Weitem noch nicht vorüber ist. Ich muss aber auch klar sagen: Der Staat ist bei der Abfederung der hohen Preise an die Grenzen dessen gegangen, was er leisten kann. Viele der beschlossenen Entlastungsmaßnahmen sind zu Jahresbeginn in Kraft getreten. Sie werden ihre volle Wirkung in diesem Jahr überhaupt erst entfalten.

Lebensmittel Zeitung: Die Unternehmen haben im Winter beim Energiesparen kräftig mitgemacht. Der Staat hilft mit Energiepreisbremsen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Staatshilfen ausreichen?

Christian Lindner: Es ist ein gutes Zusammenspiel gelungen: Die Politik hat mit der Ankündigung der umfangreichen Hilfen ein wichtiges Signal gesendet, dass sie zu umfangreichen Maßnahmen bereit ist. Die Betriebe wiederum haben große Anstrengungen unternommen, damit sie von sich aus Energiekosten senken. Zusammen hat das die Marktpreise für Energie deutlich entspannt. Deswegen bin ich optimistisch, dass wir die bereitstehenden Mittel für die Energiepreisbremsen nicht in Gänze einsetzen müssen. Wir können dann weniger Verschuldung aufnehmen – eine anderweitige Verwendung ist nicht möglich und auch nicht angebracht.

Lebensmittel Zeitung: In einem Standort-Ranking des Leibniz- Zentrums ist Deutschland um vier Ränge auf Platz 18 von 21 Industrieländer abgerutscht. Da braucht es sicher auch ein Mehr an Digitalisierung und guter Infrastruktur und ein Weniger an Bürokratie…

Christian Lindner: Für gute Ideen für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit bin ich immer offen. Ich selbst habe einige – mit dem Entwurf für das Zukunftsfinanzierungsgesetz legt mein Haus etwa den Grundstein für eine Stärkung des Finanz- und Startup-Standorts Deutschland. Bei allen Vorschlägen bitte ich aber – wir sprachen bei der Unternehmensbesteuerung darüber – um Beachtung der politischen Mehrheitsverhältnisse. Wen unsere Vorschläge für eine Stärkung der Marktwirtschaft überzeugen, der kann sie wählen. Einem muss ich aber eine klare Absage erteilen: Eine massive Ausweitung von Subventionen wird es mit mir nicht geben – das wäre gegen meine ordnungspolitische Überzeugung.

Lebensmittel Zeitung: HDE-Präsident von Preen mahnte auf dem Handelskongress im Herbst: „Wir dürfen unseren ordnungspolitischen Kompass jetzt nicht über Bord werfen.“ Funktioniert dieser Kompass?

Christian Lindner: Wenn ich mir bisweilen Vorschläge anschaue, die gerne und häufig auf den Marktplatz der politischen Ideen geworfen werden, bin ich versucht, Nein zu sagen. Wenn ich aber das konkrete Handeln dieser Bundesregierung betrachte: Ja, absolut. Auch wenn Entscheidungen hin und wieder längerer Diskurse bedürfen, passen sie am Ende zu unserer Sozialen Marktwirtschaft. Etwas anderes wäre mit den Freien Demokraten in einem Regierungsbündnis auch gar nicht zu machen.