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20.04.2022

Europa

Fragen und Antworten zum Stabilitäts- und Wachstumspakt

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist ein zentrales Instrument zur Sicherung der ökonomischen Basis für das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Mit Hilfe des Paktes werden die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) zu einer stabilitätsorientierten Finanzpolitik angehalten, um im Zusammenspiel mit der auf Preisstabilität ausgerichteten Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) die Voraussetzungen für ein starkes, nachhaltiges und der Schaffung von Arbeitsplätzen förderliches Wachstum zu gewährleisten.

Was ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt?

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist ein regelbasierter Rahmen für die Koordinierung der nationalen Finanzpolitiken in der WWU. Der Pakt wurde geschlossen, um solide öffentliche Finanzen – eine wichtige Voraussetzung für das korrekte Funktionieren der WWU – zu garantieren.

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Welche Regeln umfasst der Stabilitäts- und Wachstumspakt?

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt enthält Regelungen für eine effektive wirtschafts- und haushaltspolitische Überwachung in der EU, zuletzt reformiert in 2011 im Rahmen des sogenannten „Six-Pack“, bei dem es sich um fünf Verordnungen und eine Richtlinie handelt. Enthalten sind eine präventive und eine korrektive Komponente.

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Die präventive Komponente

Gemäß den Bestimmungen der präventiven Komponente müssen die Mitgliedstaaten jährliche Stabilitäts- beziehungsweise Konvergenzprogramme vorlegen, die zeigen, wie sie mittelfristig – unter Berücksichtigung der drohenden Auswirkungen des Alterns der Bevölkerung auf den Haushalt – eine solide Haushaltslage zu erreichen oder zu sichern beabsichtigen. Diese sogenannten Mittelfristziele bestehen für alle Mitgliedstaaten in einem ausgeglichenen oder nahezu ausgeglichenen Haushalt. Jeder Mitgliedstaat hat sich in Abhängigkeit u. a. von seinem Schuldenstand und zukünftigen Belastungen durch das Altern der Bevölkerung ein mittelfristiges Haushaltsziel gegeben. Die Kommission überprüft, ob die nationalen Programme umgesetzt und die Mittelfristziele erreicht werden oder sich ein Mitgliedstaat dem Mittelfristziel ausreichend nähert. Im Fall einer erheblichen Abweichung von einer soliden Haushaltspolitik durch unzureichende strukturelle Anstrengungen oder zu hohes Wachstum öffentlicher Ausgaben setzt folgendes Verfahren ein:

  1. Die Kommission veröffentlicht eine Frühwarnung und gibt eine Empfehlung zur Abhilfe an den Rat ab.
  2. Der Rat schreibt innerhalb eines Monats Abhilfemaßnahmen vor (Ratsentscheidung) und setzt eine Frist von maximal 5 Monaten für die Umsetzung (3 Monate in schwerwiegenden Fällen).
  3. Die Kommission überprüft, ob wirksame Maßnahmen umgesetzt wurden.
  4. Die Kommission legt bei Nicht-Umsetzung innerhalb von 20 Tagen einen Sanktionsbeschluss vor.
  5. Der Rat bestätigt den Sanktionsbeschluss in Zusammensetzung der Eurozone nach maximal 10 Tagen, wenn dieser nicht mit qualifizierter Mehrheit widerrufen wird (quasi-automatisch).
    • 5.1 Standardverfahren: Verhängung von Sanktionen innerhalb von 6 Monaten (5+1)
    • 5.2 Schnellverfahren: In besonders schwerwiegenden Fällen mit gravierenden Abweichungen Verhängung von Sanktionen innerhalb von 4 Monaten (3+1)

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Die korrektive Komponente

  1. Die korrektive Komponente des Pakts umfasst das Verfahren bei übermäßigem Defizit (Excessive Deficit Procedure – EDP). Die Europäische Kommission leitet ein sogenanntes Defizitverfahren ein, wenn sie nach Berücksichtigung aller relevanten Faktoren feststellt, dass, die Neuverschuldung eines Mitgliedstaats zu hoch ist (über 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, kurz: BIP)

    oder

  2. die Gesamtschulden eines Landes zu hoch sind und der Schuldenstand nicht hinreichend rückläufig ist. Mitgliedstaaten mit einer Schuldenquote von über 60 Prozent des BIP sind verpflichtet, jährlich 1/20 des über dieser Grenze liegenden Teils der Quote abzubauen, bis ihre Schulden nur noch 60 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes betragen.

Kommt der Rat zu dem Schluss, dass das Defizit im Sinne des Vertrags übermäßig oder der Schuldenabbau unzureichend ist, gibt er an die betroffenen Mitgliedstaaten Empfehlungen für Korrekturmaßnahmen aus und setzt ihnen eine Frist für die Umsetzung. Bereits auf dieser frühen Stufe des Verfahrens können die Mitgliedstaaten der Eurozone mit finanziellen Sanktionen belegt werden. Bei Nichteinhaltung der Empfehlungen innerhalb der gesetzten Frist werden die nächsten Schritte im Rahmen der Verfahren eingeleitet. Darin eingeschlossen ist die Möglichkeit weiterer Sanktionen.

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Haushaltsfristen

Am 30. Mai 2013 trat in Erweiterung des „Six-Packs“ das „Two-Pack“, das sich auf Artikel 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gründet, in Kraft. Dieses Regelwerk, das aus den Verordnungen (EU) Nr. 472/2013 und 473/2013 besteht, soll die Haushaltsüberwachung für die Euro-Länder ergänzen und verstärken. Im Mittelpunkt des „Two-Packs“ stehen drei einheitliche Haushaltsfristen:

  1. Bis zum 30. April eines jeden Jahres muss jedes Mitglied des Euroraumes seine mittelfristige Finanzplanung (Stabilitätsprogramm) und seine vorrangigen Wachstums- und Beschäftigungsziele für die folgenden 12 Monate (Nationales Reformprogramm) bekannt geben.
  2. Bis zum 15. Oktober muss jeder nationale Haushaltsentwurf der EU-Kommission vorliegen. Diese werden geprüft und gegebenenfalls zurückgewiesen. In einem solchen Fall müsste ein Land einen überarbeiteten Haushaltsentwurf vorlegen.
  3. Bis zum 31. Dezember muss jedes Mitglied des Euroraumes seinen Haushalt für das folgende Jahr in seinem nationalen Parlament verabschiedet haben.

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Sanktionen:

Mit der Verpflichtung zu einem ausgeglichenen oder nahezu ausgeglichenen Haushalt (Mittelfristziel) wird für die Euroländer bereits im sogenannten präventiven Arm des Stabilitäts- und Wachstumspakts (also wenn das Staatsdefizit kleiner als 3 Prozent des BIP ist) ein Sanktionsmechanismus eingeführt: Werden 6 Monate, nachdem die Kommission eine Frühwarnung ausgesprochen hat, immer noch erhebliche Abweichungen durch den Rat festgestellt, so ist eine verzinsliche Einlage in Höhe von 0.2 Prozent des BIP fällig. Bei weiterer unzureichender Umsetzung der erforderlichen finanzpolitischen Korrekturmaßnahmen und wenn zugleich ein Defizitverfahren im korrektiven Arm eingeleitet wird (Defizit über 3 Prozent des BIP und/oder Schuldenabbau unzureichend), wandelt sich diese verzinsliche Einlage zunächst in eine unverzinsliche Einlage und in einem letzten Schritt in ein Bußgeld um, das nicht zurück erstattbar ist.

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Auf welchen Rechtsgrundlagen basiert der Stabilitäts- und Wachstumspakt?

Eine stabilitätsorientierte Finanzpolitik ist Grundvoraussetzung, um im Zusammenspiel mit der auf Preisstabilität ausgerichteten Geldpolitik der EZB die Voraussetzungen für ein starkes, nachhaltiges und der Schaffung von Arbeitsplätzen förderliches Wachstum zu gewährleisten. „Gesunde öffentliche Finanzen“ gehören daher zu den richtungweisenden Grundsätzen, die der AEUV für die Tätigkeiten der Mitgliedstaaten und der Union vorsieht.

Konkretisiert wird dies durch die Bestimmungen in Artikel 121 AEUV über die multilaterale Überwachung sowie in Artikel 126 AEUV über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit. Die in Artikel 126 AEUV genannten Referenzwerte für die Beurteilung der nationalen Haushaltsdisziplin werden durch ein Protokoll (Nr. 12) über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit, das Bestandteil des Primärrechts ist, definiert. Das Primärrecht sieht zudem vor, dass der Rat sekundärrechtliche Vorschriften zur Konkretisierung erlässt.

Auf dieser Grundlage wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt entwickelt, der sich ursprünglich aus drei Bestandteilen zusammensetzte:

  • Entschließung des Europäischen Rates vom 17. Juni 1997 über den Stabilitäts- und Wachstumspakt aus Anlass der Annahme des Vertrages von Amsterdam.
  • Verordnung (EG) Nr. 1466/97 vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, die durch die Änderungsverordnung (EG) Nr. 1055/2005 erstmals überarbeitet wurde. Durch die Verordnung (EG) Nr. 1466/97 wird das Verfahren der multilateralen Überwachung beschrieben und das sogenannte Frühwarnsystem geregelt, um erhebliche Abweichungen vom mittelfristigen Haushaltsziel zu vermeiden (sogenannter präventiver Arm des Paktes).
  • Verordnung (EG) Nr. 1467/97 vom 7. Juli 1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, die durch die Änderungsverordnung (EG) Nr. 1056/2005 erstmals überarbeitet wurde. Durch die Verordnung (EG) Nr. 1467/97 werden die Vorgaben des AEUV für das Defizitverfahren konkretisiert und somit für die Koordinierungs- und Überwachungsprozesse in der EU handhabbarer gemacht (sogenannter korrektiver Arm des Paktes).

Die Staatsschuldenkrise offenbarte u. a. die Schwachstellen des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Deswegen wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt durch folgende vier Rechtsetzungsakte im Rahmen des „Six-Packs“ umfassend reformiert und ergänzt:

  • Richtlinie 2011/85/EU des Rates vom 8. November 2011 über die Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten,
  • Verordnung (EU) Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken (präventiver Arm),
  • Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 des Rates vom 8. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit (korrektiver Arm),
  • Verordnung (EU) Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet.

Das Regelwerk ist seit dem 13. Dezember 2011 in Kraft.

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Welche Pflichten ergeben sich aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt für die Haushaltsüberwachung?

Für die Mitgliedstaaten ergeben sich aus dem präventiven Arm des Stabilitäts- und Wachstumspaktes insbesondere folgende Verpflichtungen:

  • die jährliche Aktualisierung der nationalen Stabilitäts- beziehungsweise Konvergenzprogramme (siehe Frage „Was sind die Stabilitäts- beziehungsweise Konvergenzprogramme?")

  • die Übersendung der sogenannten Maastricht-Meldung jeweils im Frühjahr und im Herbst (siehe Frage „Was ist die ‚Maastricht-Meldung‘?“)

  • die jährliche Bekanntgabe der mittelfristigen Finanzplanung sowie Ziele in der Wachstums- und Beschäftigungspolitik durch jedes Land bis zum 30. April (siehe Frage „Welche Regeln umfasst der Stabilitäts- und Wachstumspakt?“)
  • die jährliche Vorlage der nationalen Haushaltsentwürfe bis zum 15. Oktober bei der EU-Kommission (siehe Frage „Welche Regeln umfasst der Stabilitäts- und Wachstumspakt?“)
  • die jährliche Verabschiedung der nationalen Haushalte bis zum 31. Dezember in den nationalen Parlamenten (siehe Frage „Welche Regeln umfasst der Stabilitäts- und Wachstumspakt?“)

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Was sind die Stabilitäts- beziehungsweise Konvergenzprogramme?

Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur jährlichen Aktualisierung und Vorlage ihrer Stabilitäts- beziehungsweise Konvergenzprogramme ergibt sich aus der Verordnung (EG) Nr. 1466/97. Die Verordnung begründet dies wie folgt: „... Es ist notwendig, dass die teilnehmenden Mitgliedstaaten mittelfristige Programme, nachstehend ‚Stabilitätsprogramme‘ genannt, vorlegen. Darüber hinaus müssen die wichtigsten Angaben, die derartige Programme zu enthalten haben, festgelegt werden.“ Die Mitgliedstaaten, die den Euro als Währung noch nicht eingeführt haben, legen entsprechend ein „Konvergenzprogramm“ vor.

Die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme stellen die kurz- und mittelfristige Finanzpolitik der einzelnen Mitgliedstaaten dar. Gemäß oben genannter Verordnung sind folgende Angaben in der jährlichen Aktualisierung des Programms vorgeschrieben:

  • das mittelfristige Haushaltsziel sowie den Anpassungspfad in Richtung auf dieses Ziel für den Saldo des öffentlichen Haushalts und die voraussichtliche Entwicklung der öffentlichen Schuldenquote,
  • die Hauptannahmen über die voraussichtliche wirtschaftliche Entwicklung und über wichtige ökonomische Variablen, die für die Umsetzung der Stabilitätsprogramme von Belang sind, wie Ausgaben für öffentliche Investitionen, reales Wachstum des BIP, Beschäftigung und Inflation,
  • eine detaillierte und quantitative Bewertung der haushaltspolitischen und sonstigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die zur Erreichung der Programmziele unternommen und/oder vorgeschlagen werden, darunter eine ausführliche Kosten-Nutzen-Analyse der größeren Strukturreformen, die direkte langfristige Kosteneinsparungseffekte – auch durch Steigerung des Potenzialwachstums – haben,
  • eine Untersuchung der Auswirkungen von Änderungen bei den wichtigsten ökonomischen Annahmen auf die Haushalts- und Verschuldungslage,
  • gegebenenfalls die Gründe für eine Abweichung von dem geforderten Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel.

Die Programme werden im April an die EU übermittelt. Im Juni verabschiedet der ECOFIN-Rat ausgehend von einem Vorschlag der Europäischen Kommission eine Stellungnahme zu den einzelnen Stabilitäts- beziehungsweise Konvergenzprogrammen und darauf aufbauend länderspezifische Empfehlungen. Anschließend werden sie Ende Juni vom Europäischen Rat gebilligt und vom Rat endgültig angenommen.

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Was ist die „Maastricht-Meldung“?

Zur Überwachung der im Protokoll (Nr. 12) über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit verankerten Referenzwerte wurde ein „Meldesystem“ installiert, um (von Seiten der Kommission und des ECOFIN-Rates) frühzeitig auf Abweichungen der laufenden Haushaltsentwicklung in einzelnen Mitgliedstaaten reagieren zu können (Verordnung (EG) Nr. 479/2009 des Rates vom 25. Mai 2009 über die Anwendung der dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit).

Neben der jährlichen Aktualisierung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, jeweils vor dem 1. April und dem 1. Oktober die erwarteten Defizit- und Schuldenstände des laufenden Jahres auf der Basis der bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Daten an die EU zu übermitteln (sogenannte Maastricht-Meldung). Anhand dieser Daten kann geprüft werden, wie die in den Programmen dargelegte mittelfristige finanzpolitische Linie umgesetzt wird.

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Was versteht man im Zusammenhang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt unter einem ausgeglichenen Haushalt?

Ein ausgeglichener Haushalt im Sinne des Stabilitäts- und Wachstumspaktes bedeutet, dass sich Ausgaben und Einnahmen aller öffentlichen Haushalte (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen – das sogenannte gesamtstaatliche Defizit) insgesamt ausgleichen. Ein ausgeglichener Haushalt wird demnach auch dann erreicht, wenn Defiziten einer bestimmten Ebene entsprechende Überschüsse der anderen Ebenen gegenüberstehen. Grundlage für die Berechnung sind die Zahlen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR), die wegen methodischer Unterschiede nicht unmittelbar mit den Daten aus den Budgets der einzelnen staatlichen Ebenen verglichen werden können. Wesentliche Einmaltransaktionen bleiben unberücksichtigt.

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Was ist der Anpassungspfad?

Der Anpassungspfad ist die Darlegung der (jährlichen) nominalen oder strukturellen Abbauschritte zur Erreichung einer finanzpolitischen Zielgröße, z. B. eines ausgeglichenen Haushalts oder der Reduzierung der Schuldenquote.

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Wie funktioniert der „präventive Arm“ des Stabilitäts- und Wachstumspakts? Was passiert bei einer erheblichen Abweichung der Haushaltslage vom mittelfristigen Haushaltsziel oder Anpassungspfad?

Auf der Grundlage der Maastricht-Meldung (siehe Frage „Was ist die ‚Maastricht-Meldung‘?“) sowie der Bewertungen von Kommission und Wirtschafts- und Finanzausschuss (WFA) prüft der ECOFIN-Rat, ob die Haushaltslage von dem im Stabilitäts- beziehungsweise Konvergenzprogramm vorgesehenen mittelfristigen Haushaltsziel oder vom entsprechenden Anpassungspfad erheblich abweicht.

Stellt der Rat mit qualifizierter Mehrheit ein erhebliches Abweichen fest, so richtet die Kommission eine Verwarnung („Frühwarnung“) gemäß Artikel 121 Absatz 4 AEUV an den betreffenden Mitgliedstaat.

Innerhalb eines Monats nach der Verwarnung der Kommission prüft der ECOFIN-Rat die Lage und richtet bei Weiterbestehen der Abweichung eine Empfehlung an den betreffenden Mitgliedstaat, binnen einer Frist von maximal fünf Monaten die notwendigen Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen (Artikel 121 Absatz 4 AEUV/Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97).

Falls der betreffende Mitgliedstaat innerhalb der gesetzten Frist keine angemessenen Maßnahmen ergreift, empfiehlt die Kommission dem Rat unverzüglich, mit einem Beschluss mit qualifizierter Mehrheit festzustellen, dass keine wirksamen Maßnahmen ergriffen wurden. Die Kommission kann dem Rat zudem empfehlen, dass dieser dem Mitgliedstaat geänderte Korrekturmaßnahmen empfiehlt (Artikel 121 Absatz 4 AEUV, Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97). Kommt der Rat dieser Empfehlung der Kommission nicht nach und unterlässt es der betreffende Mitgliedstaat weiterhin, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, legt die Kommission dem Rat ihre Empfehlung nach einem Monat erneut vor. Eine solche wiederholte Empfehlung der Kommission gilt als vom Rat angenommen, wenn nicht binnen zehn Tagen eine einfache Mehrheit im Rat dagegen stimmt.

Die Kommission kann nach Annahme von Empfehlungen an den betreffenden Mitgliedstaat durch den Rat ferner Überwachungsmissionen vor Ort durchführen (Artikel 11 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97).

Für Euro-Staaten ist ein spezieller Durchsetzungsmechanismus auch im präventiven Arm des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorgesehen: Nach einem Feststellungsbeschluss des Rates, dass der betreffende Mitgliedstaat keine Abhilfemaßnahmen binnen der gesetzten Frist getroffen hat, empfiehlt die Kommission dem Rat binnen 20 Tagen, die Hinterlegung einer verzinslichen Einlage in Höhe von 0,2 Prozent des BIP des Vorjahres bei der Kommission zu verlangen. In diesem Fall greift im ECOFIN-Rat das Verfahren der „umgekehrten Abstimmung“: Wird die Empfehlung der Kommission zur Leistung einer verzinslichen Einlage nicht innerhalb von zehn Tagen mit qualifizierter Mehrheit abgelehnt, so gilt der Beschluss als vom Rat angenommen (Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 1173/2011).

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Wie funktioniert der „korrektive Arm“ des Stabilitäts- und Wachstumspakts? Was ist das Defizitverfahren?

Im „korrektiven Arm“ des Stabilitäts- und Wachstumspakt sind die Mitgliedstaaten angehalten, übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden oder im Falle ihres Eintritts wirksame Maßnahmen zu ihrer raschen Beseitigung zu ergreifen (Defizitverfahren).

Das Initiativrecht zur Einleitung des Defizitverfahrens liegt bei der Kommission. Notwendig sind belastbare Hinweise auf ein tatsächliches Erreichen beziehungsweise Überschreiten der 3-Prozent-Defizitgrenze und/oder belastbare Hinweise, dass der Schuldenabbau eines Mitgliedslandes nicht ausreichend ist (Schuldenstand nicht „hinreichend rückläufig“). Auf der Grundlage eines Berichts der Kommission nach Artikel 126 Absatz 3 AEUV sowie einer Stellungnahme des Wirtschafts-und Finanzausschusses und Empfehlung an den Rat nach Artikel 126 Absätze 4 und 5 AEUV entscheidet der ECOFIN-Rat, ob ein „übermäßiges“ Defizit nach Artikel 126 Absatz 6 AEUV vorliegt.

Ein Defizitverfahren läuft folgendermaßen ab:

  • 1. Schritt: Die Kommission erstellt einen Bericht, in dem sie die Hintergründe für die Einleitung des Defizitverfahrens erläutert (Artikel 126 Absatz 3 AEUV). Die Erstellung des Berichts ist bei Überschreiten der Referenzwerte für die Kommission zwingend. Wenn nur die „Gefahr eines übermäßigen Defizits besteht“, ist der Bericht fakultativ. Der Bericht wird im WFA beraten, der daraufhin eine Stellungnahme abgibt (Artikel 126 Absatz 4 AEUV. Vertritt die Kommission nach Prüfung aller in ihrem Bericht zu berücksichtigenden einschlägigen Faktoren, z. B. der Entwicklung der mittelfristigen Wirtschaftslage, und nach Stellungnahme des WFA die Auffassung, dass ein übermäßiges Defizit vorliegt oder sich ergeben könnte, legt sie dem betreffenden Mitgliedstaat eine Stellungnahme vor („Frühwarnung“) und unterrichtet den ECOFIN-Rat (Artikel 126 Absatz 5 AEUV, Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97).
  • 2. Schritt: Der ECOFIN-Rat entscheidet auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des betreffenden Mitgliedstaats mit qualifizierter Mehrheit über das Bestehen eines übermäßigen Defizits (Artikel 126 Absatz 6 AEUV). Der Rat beschließt dabei ohne Berücksichtigung der Stimme des betreffenden Mitgliedstaats (Artikel 126 Absatz 13 AEUV). Hält er ein übermäßiges Defizit für gegeben, richtet er gleichzeitig Empfehlungen an den betreffenden Mitgliedstaat (Artikel 126 Absatz 7 AEUV) und setzt ihm eine Frist von höchstens sechs Monaten für das Ergreifen wirksamer Maßnahmen. In ernsten Fällen kann die Frist auf drei Monate verkürzt werden. (Artikel 3 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97). Ferner wird eine Frist für die Korrektur des übermäßigen Defizits gesetzt. Die Korrektur muss grundsätzlich in dem Jahr erreicht werden, das auf die Feststellung des übermäßigen Defizits folgt (Artikel 3 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97); eine Fristverlängerung um ein Jahr ist gegebenenfalls möglich (Artikel 3 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97).

    Für Eurostaaten ist schon auf dieser Verfahrensstufe ein finanzieller Durchsetzungsmechanismus vorgesehen: Hat ein Euro-Staat schon im Verfahren der multilateralen Überwachung nach Artikel 121 AEUV („präventiver Arm“ des Stabilitäts- und Wachstumspakts) eine verzinsliche Einlage hinterlegt oder stellt die Kommission besonders schwerwiegende Verstöße gegen die Vorgaben des Paktes fest, verlangt der ECOFIN-Rat auf Vorschlag der Kommission die Hinterlegung einer unverzinslichen Einlage in Höhe von 0,2 Prozent des BIP des Vorjahres bei der Kommission (Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1173/2011). Ist schon eine verzinsliche Einlage hinterlegt, wird diese in eine unverzinsliche umgewandelt (Artikel 5 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 1173/2011). Der Sanktionsvorschlag der Kommission muss innerhalb von 20 Tagen nach Artikel 126 Absatz 6 AEUV erfolgen. Die Beschlussfassung im Rat erfolgt im Verfahren der „umgekehrten Abstimmung“: Die Einlage wird bei der Abgabe der Sanktionsempfehlung der Kommission fällig, es sei denn der Rat beschließt innerhalb von zehn Tagen mit qualifizierter Mehrheit das Gegenteil (Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 1173/2011).
  • 3. Schritt: Das Land hat nun innerhalb der gesetzten Frist Zeit, wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Damit ruht das Verfahren. Wird den Empfehlungen durch den Mitgliedstaat nicht gefolgt, so stellt der Rat dies auf Empfehlung der Kommission mit qualifizierter Mehrheit fest – unter Nichtberücksichtigung der Stimme des betreffenden Mitgliedstaats – und veröffentlicht gegebenenfalls seine Empfehlungen (Artikel 126 Absatz 8 i.V.m. 13 AEUV). Der ECOFIN-Rat erstattet dem Europäischen Rat über das Nichtergreifen wirksamer Maßnahmen Bericht (Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97).

    Für Eurostaaten ist auf dieser Verfahrensstufe des Defizitverfahrens eine Sanktion in Form einer Geldbuße (im Gegensatz zur Einlage nicht zurückzahlbar) in Höhe von 0,2 Prozent des BIP des Vorjahres vorgesehen. Die Kommission muss binnen 20 Tagen nach dem Ratsbeschluss gemäß Artikel 126 Absatz 8 AEUV dem Rat die Verhängung einer entsprechenden Geldbuße vorschlagen (Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1173/2011). Der Rat beschließt im Verfahren der „umgekehrten Abstimmung“: Der Beschluss über die Verhängung einer Geldbuße gilt als vom Rat angenommen, wenn dieser nicht innerhalb von zehn Tagen das Gegenteil beschließt (Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 1173/2011). Ist schon eine unverzinsliche Einlage hinterlegt, wird diese in eine Geldbuße umgewandelt (Artikel 6 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 1173/2011).
  • 4. Schritt: Innerhalb von zwei Monaten nach der Feststellung kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließen, den Mitgliedstaat mit der Maßgabe in Verzug setzen, innerhalb einer weiteren Frist von vier Monaten Maßnahmen zum Defizitabbau zu treffen (Artikel 126 Absatz 9 Satz 1 i.V.m. 13AEUV; Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97). Der betreffende Mitgliedstaat erstattet dem Rat nach der Inverzugsetzung über dessen Anpassungsbemühungen Bericht und veröffentlicht den Bericht (Artikel 126 Absatz 9 Satz 2 AEUV; Artikel 5 Absatz 1a) der Verordnung (EG) Nr. 1467/97). Die Kommission kann außerdem eine Überwachungsmission vor Ort durchführen, um die aktuelle Wirtschaftslage im Mitgliedstaat zu überprüfen und mögliche Risiken oder Probleme im Zusammenhang mit der Umsetzung der Ziele zu ermitteln (Artikel 10a der Verordnung (EG) Nr. 1467/97).
  • 5. Schritt: Falls das betreffende Land dem Beschluss des Rates zu Maßnahmen zum Defizitabbau nicht Folge leistet, so kann der Rat auf Empfehlung der Kommission mit qualifizierter Mehrheit wahlweise oder kumulativ folgende Maßnahmen ergreifen (Artikel 126 Absatz 11 AEUV; Artikel 11 f., 16 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97):

    In der Regel soll eine Geldbuße in angemessener Höhe verhängt werden: Sie setzt sich zusammen aus einer festen Komponente in Höhe von 0,2 Prozent des BIP und einer variablen Komponente. Eine einzelne Geldbuße darf 0,5 Prozent des BIP nicht überschreiten. Geldbußen werden dem ESM überwiesen.

    • Von dem Mitgliedstaat kann verlangt werden, vor der Emission von Schuldverschreibungen und sonstigen Wertpapieren vom Rat näher zu bezeichnende zusätzliche Angaben zu veröffentlichen.

    • Die Europäische Investitionsbank (EIB) kann ersucht werden, ihre Darlehenspolitik gegenüber dem Land zu überprüfen.

    • Von Nicht-Euro-EU-Mitgliedstaaten kann verlangt werden, was bei Euroländern schon unter Schritt 2 in Anwendung ist: eine unverzinsliche Einlage bis zur Korrektur des übermäßigen Defizits zu hinterlegen.

      Um die Überwachung des betreffenden Mitgliedstaats zu verstärken, kann die Kommission wiederum vor Ort eine Überwachungsmission durchführen (Artikel 10a der Verordnung (EG) Nr. 1467/97).

  • 6. Schritt: In jedem Folgejahr beurteilt der Rat erneut, ob der betreffende Mitgliedstaat den Empfehlungen des Rates nachgekommen ist (Artikel 126 Absatz 9 Satz 1 AEUV). Falls der Rat die weitere Nichtbefolgung feststellt, kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließen, die Sanktionen zu verschärfen (Artikel 126 Absatz 11 AEUV, Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97).

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Wird für die Überschreitung des Referenzwertes an zwei aufeinander folgenden Jahren jedes Mal ein neues Defizitverfahren eröffnet?

Nein. Ein Verfahren dauert so lange, wie ein übermäßiges Defizit vorliegt. Entscheidend für die Einleitung weiterer Verfahrensschritte ist jeweils, ob den Empfehlungen des Rates gefolgt wird. Das Verfahren wird dann eingestellt, wenn das übermäßige Defizit in dem betreffenden Mitgliedstaat nach Ansicht des Rates korrigiert worden ist. Bei einem erneuten Überschreiten des Defizitreferenzwertes kann ein neues Verfahren eingeleitet werden.

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Was ist die allgemeine Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts?

Die sogenannte allgemeine Ausweichklausel legt fest, dass bei einem schweren Konjunkturabschwung im Euro-Währungsgebiet oder in der Union insgesamt vorübergehend von dem Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel abgewichen werden kann, vorausgesetzt, dies gefährdet nicht die mittelfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen (Verordnung 1466/97 der präventiven Komponente, Artikel 5 Absatz 1 und Artikel 9 Absatz 1). Im Hinblick auf die korrektive Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts ist in Artikel 3 Absatz 5 und Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) 1467/97 festgelegt, dass der Rat im Falle eines schweren Konjunkturabschwungs im Euro-Währungsgebiet oder in der Union insgesamt auf Empfehlung der Europäischen Kommission beschließen kann, einen überarbeiteten haushaltspolitischen Kurs festzulegen. Die allgemeine Ausweichklausel wurde im Kontext der COVID-Pandemie erstmalig im März 2020 aktiviert.